Hallo!
Dagegen spricht mehreres:
1. Es ist nicht davon auszugehen, daß in Prophezeiungen, die nicht ausdrücklich von einem Polsprung berichten, indirekt, also zwischen den Zeilen, Polsorunginformationen eingeflochten wären.
Wenn es um den Kaiser geht, dann geht es um den Kaiser und nichts anderes. Wenn der Autor etwas über den Polsprung hätte schreiben wollen, hätte er das ausdrücklich getan.
Das ist bei älteren Prophezeiungen ohnehin auszuschließen. Aufgrund ihrer Eigenart kann man keine naturwissenschaftlich präzisen Angaben erwarten. Sie reflektieren in der Regel Sagenmotive und religiöse Vorstellungen. Physikalisches Geschehen erschien dahingegen vor dem Hintergrund der Erfüllung der Offenbarung und des Weltschicksals geradezu profan und unwichtig.
2. Das Motiv „aus dem Osten“ ist allgemein nicht als konkrete Herkunftsangabe aufzufassen.
Es ist eher ein Motiv der Volksmythologie, das höchstwahrscheinlich in der Spätantike seine Wurzeln hat und sich über das Christentum in der Prophezeiungstradition festsetzte.
Ursprung sind vermutlich Prophezeiungen über Nero.
Auszug aus „Arthur Hübscher – Die Große Weissagung“, S. 88/89:
„Seit langem hat es auch in Rom eine sich fort und fort erneuernde Prophetie gegeben, die einen großen Kaiser am Ende der Tage verheißt. Sibyllenstimmen haben den rex e caelo oder e sole missus verheißen. Mit ihm, dem Sonnengott, erwartet man den Anbruch eines Goldenen Zeitalters, ein saeculum solis. Tuus iam regnat Apollo, verkündet mit freudiger Gewißheit Virgil [Ecl. IV, 4 f.]. Er verheißt die Erscheinung des rettenden Knaben und ein neues Zeitalter, in dem die ewige Rorna ein neues, glücklicheres Aussehen erhalten wird.
Die vierte Ecloge Virgils wird zur Geburtsurkunde der abendländischen Kaiserprophetie. Aus ihren Versen hört das erste nachchristliche Jahrtausend immer wieder die eigene Erwartung eines allgemeinen Erretters heraus. Virgil wird Kronzeuge, hier für die Frieden bringende, weltbefreiende Herrschaft des Kaisers der Zukunft, dort für die Wiederkehr des Sabbatreiches eines himmlischen Weltschöpfers. Schon ein paar Jahre nach der Entstehung des Gedichts kann Augustus als der erhoffte Kaiser angesehen werden, und wieder kann die vierte Ecloge später als Zeugnis dafür gelten, daß die Sibylle durch den Mund Virgils dem Kaiser die bevorstehende Geburt des Heilands angekündigt habe.
Augustus selbst fühlt sich in der Erretter-Rolle wohl und läßt ein Bildnis mit den Insignien Apollos von sich machen. Und als er stirbt, lebt doch die Hoffnung auf den kommenden Befreier fort. Seine Nachfolger erhalten, erwartungs- und beziehungsvoll, den Titel des Erretters, des Soter. Als Nero, der Letzte seines Stammes, sich selbst getötet hat, will man an seinen Untergang nicht glauben, man ist der Meinung, daß er sich irgendwo verborgen halte, und erwartet seine Wiederkehr. ‚Es gab Leute‘, schreibt der Geschichtsschreiber Sueton, ‚die lange Zeit sein Grab mit Frühlings- und Sommerblumen schmückten und auf der Rednerbühne bald Bildnisse von ihm, die ihn in der purpurverbrämten Toga darstellten, bald seine Edikte zum Vorschein brachten, als ob er noch lebe und binnen kurzem zum Verderben seiner Feinde wiederkehren werde. Selbst der Partherkönig Vologäsus ließ dringend darum bitten, dem Andenken Neros die gebührende Ehre zu erweisen.‘ Im 4. Buch der Sibyllinen flieht Nero an den Euphrat und kehrt an der Spitze eines Heeres wieder, im 5. Buch kommt er vom Ende der Erde und bezwingt das Weltall. Von der gleichen Erwartung sprechen Hieronymus und Augustin. Nero ist der Messiaskaiser, der die Perser niederwerfen und die Zeit des Friedens und des Glücks für Asien bringen wird. Für die Christen freilich ist er der Vorläufer des Antichrist, vielleicht der der Antichrist selbst.
Kurz nach der Zerstörung Jerusalems ruft das 8. Buch der Sibyllinen sein Wehe über Rom: Mit dem fünften Alter des Phönix wird der Herrscher aus Asien – gemeint ist Nero – erscheinen und Rom verderben. Dann aber wird sich, nach maßloser Sittenverderbnis, ein heiliger Fürst erheben und die Sabbatzeit der Welt heraufführen. In dieser Vorstellung wird zum ersten Mal der Einbruch christlicher Gedanken in die römische Kaiserprophetie erkennbar, zum ersten Mal erscheinen die Motive, die sie künftighin begleiten werden: das Nahen des Königs von Asien oder Babylon, die Zerstörung Roms, die Sittenverderbnis, das Auftreten eines Messiaskönigs. Sie finden sich zu Ende des dritten Jahrhunderts wieder in Commodians ‚Carmen apologeticum‘: Die Goten erobern Rom und erlösen die bedrängten Christen. Da erhebt sich Nero aus der Verborgenheit. Er tötet Henoch und Elias, die Propheten Gottes. Drei Jahre und ein halbes wütet er, dann steht ein König im Osten auf, der Mann aus Persien. Er ist der zweite und eigentliche Antichrist; er tötet Nero und verbrennt die Stadt, dann geht er nach Judäa, tut Wunder und läßt sich von den Juden anbeten. Die Juden aber erkennen seine Falschheit, auf ihre Bitten erscheint Christus mit den verlorenen Stämmen der Juden, die sein Heer bilden.“[/i]
Seitdem von Christen Nero als Vorläufer des Antichristen bezeichnet wurde, kam auch alles Übel immer aus dem Osten: der Antichrist, die Völker Gog und Magog, der Islam, die Türken usw.
Die Vorstellung des Erretterkaisers knüpfte sich zunächst an die christlichen Kaiser Roms, dann an die byzantinischen, schließlich an die Europäer, wobei im Mittelalter eine Art „Wettkampf“ entstand, ob der Endzeitkaiser, bzw. der „große Monarch“ nun Deutscher oder Franzose sei.
Vermutlich liegt hier irgendwo der Hund begraben. Wenn es in deutschen Prophezeiungen heißt „aus dem Osten“, sollte damit wahrscheinlich das Ostfrankenreich (Deutschland) bezeichnet werden im Gegensatz zu Frankreich, ohne daß man den großen Monarchen allzu deutlich für sich beanspruchte. Die Information ging in späteren Jahrhunderten wohl verloren, so daß man ihn schlichtweg aus dem Osten kommen ließ, ohne daß man gewußt hätte, woher.
Zum Beispiel in der Weissagung von 1622:
„Der Monat Mai wird sich mit Ernst zum Krieg rüsten, aber es ist noch
nicht die Zeit.
Der Monat Juni wird auch zum Krieg einladen, aber es ist auch noch
nicht die Zeit.
Der Monat Juli wird erst grausam handeln, daß viele vom Weib und
Kind Abschied nehmen müssen.
Im August wird man an allen Enden der Welt vom Krieg hören.
Der September und Oktober wird ein großes Blutvergießen mit sich
bringen.
Im November wird man Wunderdinge sehen. Um diese Zeit ist das
Kind 28 Jahre alt, dessen Säugamme von Morgen sein wird. Dieser
wird große Dinge verrichten.“ <= Nicht klar, ob hier nicht doch der Antichrist gemeint ist.
Und beim Pseudo-Holzhauser (19. Jahrhundert):
„Endlich wird jener überaus tapfere von Gott gesandte Mann erscheinen aus dem Osten.“
Und schließlich im Lied der Linde:
„Ja von Osten kommt der starke Held,
Ordnung bringend der verwirrten Welt,
– Weiße Blumen um das Herz des Herrn –
Seinem Rufe folgt der Wackre gern.“
Gruß
Taurec
--
„Es lebe unser heiliges Deutschland!“
―
„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“