Hallo!
In der Bibel kommt "Der Antichrist" überhaupt nicht vor!!
Fast. Als Begriff kommt er sehr wohl vor:
1. Johannesbrief, 2,18: "Kinder, die letzte Stunde ist da. Ihr habt gehört, daß der Antichristus kommen wird. Und inzwischen sind viele solche Christusfeinde aufgetreten. Daran erkennen wir, daß die letzte Stunde angebrochen ist."
1. Johannesbrief, 4,3: "Wer sich nicht zu Jesus bekennt, gehört nicht zu Gott. Aus ihm spricht der Geist des Antichristus. Ihr habt ja gehört, daß dieser Geist in die Welt kommen soll, und er ist auch schon da."
2. Johannesbrief: "Ich schreibe euch das, weil viele Verführer in der Welt unterwegs sind. Sie leugnen, daß Jesus Christus ein Mensch von Fleisch und Blut wurde. Wer das tut, ist der Verführer schlechthin, der Antichristus."
Aus all diesen Stellen geht hervor, was ich schrieb, nämlich daß es sich um ein Konzept/eine Geisteshaltung handele.
In die Offenbarung (bzw. eines der beiden Tiere dort, später beide) hat man ihn dann hineingedeutet, bzw. aus den dortigen Motiven konstruiert.
Die Zahl des Tieres weist auf Nero hin, dessen addierte Zahlenwerte der hebräischen Schreibweise seines Namens 666 ergeben. Man hat schon zur Zeit der Abfassung der Johannesoffenbarung Nero für den Antichristen gehalten, was sich auch in anderen Überlieferungen niederschlug (<= siehe das Hübscherzitat im Scharnier). Anders als ich in meinem letzten Beitrag schrieb, scheint der Autor der Offenbarung doch eine Person im Sinn gehabt zu haben, was aber nicht unbedingt für die Qualität des Textes spricht, der nicht über alle Zweifel erhaben ist.
Seitdem geistert der Antichrist als Person durch die Zeitalter und wurde zu der Fabelfigur aufgebläht, die uns in Prophezeiungen immer wieder entgegentritt.
Die ganze Sache geht wohl ideell auf das Judentum zurück, dem die Frühchristen kulturell ja allesamt entstammten.
Zum Stichwort Antichrist aus dem Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (HdA):
Jüdische Grundlage der Antichristsage: Bousset setzt die Entstehung der Antichrist-Legende vor die Abfassung der Apocalypse des Johannes, ja geraume Zeit vor die Zerstörung Jerusalems. Dann müssen ihre Grundlagen jüdisch sein. Der Endkampf Gottes ist ein Kampf gegen Ungetüme. Auch der Kampf gegen die Weltmächte wird als solcher gezeichnet: Jes. 27; Dan. 7,11f; 8,1 ff.; Ps. Sal. 2,25;
endlich gestaltet sich der Endkampf zum Kampf gegen Beliar: Buch der Jubiläen 23,29, Testamente der 12 Patriarchen, Levi 18, Evg. Joh. 16,11, Assumptio Mos. 8ff., Apoc. Joh. 17.
– Die Vorzeichen des Weltendes sind ebenfalls der jüdischen Apokalyptik entnommen (vgl. Eschatologie). Hinter dem Judentum steht die spätiranische Anschauung vom Wiedererscheinen des letzten »Gesandten« = Mithras: ein falscher Gesandter erscheint; es gibt auf der Welt nicht solchen Trug, List, Zauberei, die er nicht vermöchte durch die Kraft seines Vaters, des Dämonen. Er verkündet: Seit langem habt ihr gehofft, Gottes Sohn, Mithra, der Erlöser, soll kommen; jetzt bin ich gekommen; Verehrung sollt ihr mir darbringen, an mich sollt ihr glauben. Reitzenstein sagt dazu, daß auf einem Boden, wo die Vorstellung von einem Kampf des Lichtgottes gegen den Dämon uralt ist und die Vorstellung von ἀντίθεοι in hellenistischer Zeit fortlebt, die Antichrist-Vorstellung ihre Wurzel gehabt haben muß; in das Judentum ist sie nur übertragen.
Der Mythos hat sich also, ursprünglich aus dem persischen kommend, durch Umwandlung zum Antichristmythos umgeformt.
Dabei hat man im Laufe der Zeit sich den Antichristen so zurechtgedacht, daß er ein getreues Spiegelbild (mit -1 multipliziert) Jesu Christi wurde. "Ein Löwe ist Christus und ein Löwe der Antichrist; in der Beschneidung kam der Heiland in die Welt, und er wird in gleicher Weise kommen usw." (HdA)
Was im Laufe des ersten Jahrtausends zum Antichristen geschrieben, immer wieder reflektiert, neugedeutet und zeitgemäß aktualisiert wurde, hat schließlich besagter Mönch Adso zusammengefaßt:
Aus Pseudo-Methodius und westlichen Überlieferungen entstand zwischen 949 und 954 Adsos, des Abtes von Moutier-en-Der, Epistola ad Gerbergam reginam de ortu et tempore Antichristi
, die immer und immer wieder ausgeschriebene Schrift über diesen Gegenstand. – Adsos Quellen sind außer Pseudo-Methodius und (Michael tötet den Antichristen) der tiburtinischen Sibylle vor allem Haymo Halberstadensis, Alcuin, de fide Trinitatis, Hippolyt und eine Reihe von Notizen, die bei Sulpicius Severus belegt sind. (HdA)
Diese Darstellung Adsos wurde zur Grundlage aller weiteren "Prophezeiungen" über den Antichristen. Wesentliche Merkmale des Antichristen bei Adso:
Der Antichrist
- sei nicht wie Christus von einer Jungfrau geboren, sondern stamme von Juden aus dem Stamm Dan ab.
- An seiner Zeugung sei der Teufel als Incubus beteiligt.
- Der Antichrist werde in Babylon geboren und
- in Bethsaida und Chorazim - zwei von jenen galiläischen Städten, denen Jesus das Gericht Gottes ankündigte - aufwachsen,
- dort von Zauberern und falschen Propheten erzogen und
- von Dämonen umschwärmt.
- Er werde den Jerusalemer Tempel wieder aufbauen,
- sich beschneiden lassen und
- zum Gottessohn erklären.
- Von dort aus werde er seine Weltherrschaft mit Schrecken (Terror), Bestechung und Wundertaten aufrichten.
- Er werde seine Boten überallhin aussenden, Könige und ihre Völker zu sich bekehren und
- zugleich die Stätten, an denen Jesus wirkte, zerstören.
- Sich widersetzende Christen werde er ermorden.
- Nur die Macht des Frankenreiches halte ihn noch auf, bis schließlich auch der letzte Frankenkaiser in Jerusalem Szepter und Krone niedergelegt habe.
- Dann breche seine Macht voll hervor.
- Dreieinhalb Jahre vorher würden die wiedergeborenen biblischen Propheten Henoch und Elija die Gläubigen vor ihm warnen;
- dann werde er sie töten und die Christen weitere dreieinhalb Jahre lang verfolgen.
- Die Juden und fast alle übrigen Menschen würden ihn als ihren Messias anerkennen;
- seine Anhänger trügen ein Zeichen auf der Stirn.
- Danach werde Christus oder der Erzengel Michael erscheinen und ihn auf dem Ölberg vernichten. Den abgefallenen Christen blieben dann noch 40 Tage zur Umkehr vor dem Endgericht.
Später haben sich die Auffassungen über den Antichristen gewissermaßen gespalten. Am vernünftigsten waren dabei noch die Lutheraner:
Der Name wird mehr und mehr zur Allegorie; die »geistlichen« Auslegungsarten nahmen überhand; Hus sei erwähnt, die böhmischen Brüder, Joachim von Fiore, Katharer und Waldenser, Luther (adversus execrabilem antichristi bullam
) bis zu den Schmalkaldischen Artikeln (der Papst ist der rechte Endchrist oder Widerchrist). Nur die Flugblattliteratur kennt noch den persönlichen Antichristen. Im catalogus testium veritatis
hat Flaccius Illyricus die geistliche Auslegung der Lutheraner (der Antichrist ist keine individuelle Person) dem »persönlichen A.« der Katholiken (er komme aus Dan usw.) gegenübergestellt. Der Katholik Cochlaeus aber versuchte, Luthern, widernatürlich gezeugt, den Anschein des Antichristen zu geben.
Erwähnt sei Joachim von Fiore, der im 13. Jh. in Italien von vielen Antichristen zu sagen wußte und den letzten erwartete; mit ihm vor allem setzt die Auffassung ein, die Antichrist-Legende sei als Allegorie zu deuten, eine Auffassung, die bis zu Luther und weiter gilt, während die Katholiken daran festhielten, daß der Antichrist wirklich erscheinen werde. Seine Anhänger sorgten für die Verbreitung und Auslegung der Idee. (HdA)
Der Antichrist im 16.-17. Jahrhundert: Die Buchdruckerkunst ermöglichte, dem Volk zeitungsartige Literatur zuzuführen; so wird Deutschland seit dem Ende des 15. Jahrhunderts mit fliegenden Blättern überschüttet, unter denen Prognostica usw. die erste Stelle einnehmen. Der persönliche Antichrist wird wieder geglaubt.
[...]
Die »geistliche Auslegung«, seit Joachim bei allen gegenkatholischen Strömungen geübt, mußte absterben, als der Kampf gegen die Kirche durch einen Frieden beendet wurde, der den evangelischen Kirchen Gleichberechtigung gab und so den Anlaß zum Kriege beseitigte. Dafür erwachte unter den Katholiken (Malvenda) der alte Glaube an den wirklichen Antichristen zu neuem Leben, und er hat sich in katholischen Landen bis heute gehalten, ein letztes lebendes Stück Barock. (HdA)
Die Katholiken mußten an ihrem Unsinn natürlich festhalten und trugen dazu bei, daß wir uns heute immer noch mit dem persönlichen Antichristen herumschlagen müssen.
Seitdem wurde er auf alle erdenkbaren Machthaber bezogen bis hin zu Obama und Putin, wobei man die Merkmale von Adso unter den Tisch fallen läßt, einerseits aus Unbildung, andererseits, weil die auf den ersten Blick als mythologisch erkennbaren Kennzeichen bei der Proklamation der Antichristen in der eigenen Gegenwart doch eher hinderlich wären.
Das ganze nochmal auf den Punkt gebracht:
- In der Bibel ist der Antichrist allenfalls als pauschale Geisteshaltung erwähnt.
- Die Johannesoffenbarung ist schon deutlich von sagenhaften Vorstellungen geprägt und sucht den Widersacher in der Gegenwart des Autors, bei Kaiser Nero.
- Die Idee eines bösen Buben, der am Ende der Tage erscheint, ist überhaupt nicht christlich-prophetischen Ursprungs, sondern geht auf persische Vorstellungen zurück. Dieses kulturelle Element haben sich die Juden quasi abgeschaut und später auf das Christentum übertragen.
- Die Antichristlegende wurde im Laufe des ersten Jahrtausends phantasievoll zu der Figur ausgestaltet, die Adso in seinem Werk fixierte.
- Diese Vorstellung hat sich vor allem im Katholizismus viral festgesetzt und beeinflußt von dort kommend die Prophezeiungen (vgl. die zahlreichen ab S. 27 des Antichristartikels aufgelisteten Motive, die uns nur allzu bekannt vorkommen).
Gruß
Taurec
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„Es lebe unser heiliges Deutschland!“
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„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“