Je einfacher das Geschehen, desto akkurater (Schauungen & Prophezeiungen)

Jacob, Donnerstag, 16.04.2009, 00:09 (vor 5699 Tagen) @ BBouvier (6750 Aufrufe)

Hallo BB,

man nehme nur mal den klassischen Fall eines Autounfalles, der Anlass für einen Prozess ist. Die Beteiligten des Unfalles machen bei ihrer Aussage fast immer zumindest in Details unterschiedliche Angaben.
Dies liegt sicher zum einen an der Zeit, die vom Unfall bis zur Aussage verstrichen ist. Zum anderen mag es daran liegen, dass jeder den Unfall aus einer anderen Perspektive heraus erlebt hat (Fahrer, Beifahrer, etc.).
Allerdings ist ein gewisser Teil der Abweichungen -und ich gehe hier ausdrücklich nicht von bewussten Falschaussagen aus- der unterschiedlichen Wahrnehmungsfähigkeit der Beteiligten geschuldet. Manch einer nimmt generell mehr Details wahr, als ein anderer; Menschen mit Spezialwissen erfassen Vorgänge evtl. genauer, wenn sie diesen speziellen Bereich betreffen (Bsp: Automarken, spezieller Defekt am Kfz...).

Wieso sollte der Seher nicht den gleichen menschlichen Beschränkungen und Unzulänglichkeiten unterliegen, wie eine Person, die in der Gegenwart ihre Umwelt sieht?
Wenn beispielsweise ein Seher des Mittelalters die Technologie der Moderne beschreibt, muss er zunächst über enorme deskriptive Fähigkeiten verfügen, damit der Leser/Zuhörer eine Ahnung davon bekommen kann, wie er das Geschehen sieht. Hierbei interpretiert der Seher notgedrungen das Gesehene und versucht die geschauten Dinge mit den Begriffen, die er kennt, zu erfassen. Vielleicht lässt er sogar Dinge weg, bzw. erinnert sie weitaus undeutlicher, weil sie ihm schon beim Schauen nicht begreiflich sind und keine besondere Wichtigkeit zu haben scheinen.

Einfache Vorgänge, wie Du sie genannt hast, bedürfen sehr viel weniger Interpretationsleistung des Sehers. Die Fehlerquelle, die bei der Interpretation durch den Seher liegt, kommt hierbei sicherlich kaum zum Tragen.

Allerdings sollte man auch, ähnlich wie es der Richter bei einer Unfallsache tut, durch Analyse der Widersprüche und der Ungenauigkeiten in den Texten über Schauungen einige Fehler postum aufdecken können.

Aber letztlich ist der Seher mMn die erste Interpretationsinstanz des Gesehenen (und damit Fehlerquelle), da er nur so widergeben kann, wie er mit seinen Fähigkeiten, mit seinem Erkenntnishorizont, als Teil seiner Kultur, das Geschaute in der Lage ist zu erfassen.

Gruß,
Jacob.


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