Hallo!
Wir befinden uns im alten Testament, bei der neunten Plage, kurz bevor der Pharao die Israeliten weg schickt: eine drei tägige Finsternis!
Ja, richtig. Meines Erachtens neben den drei Tagen nach Jesu Tod bis zur Aufersteheung und den drei Tagen Jonas' im Wahl eine der Quellen für die dreitägige Finsternis.
Ob es darüber hinaus zukünftig eine Finsternis von unbekannter Länge gibt, ist eine andere Frage. So spricht Tollmann etwa von einer mehrmonatigen Impaktnacht.
Die Geschichte der zehnten Plage mit den Türpfosten ist womöglich eine indirekte Inspiration der in späteren Prophezeiungen zu lesenden Aufforderung, nicht hinauszusehen, geschweige denn zu gehen, wenn draußen während der Finsternis Dämonen umgingen.
Mehr noch, er legt diese Zeit genau wie Irlmaier in den Oktober.
Eher legen die späteren Propheten die Finsternis wie Nostradamus in den Oktober oder Winter wie das Lindelied oder Jahenny. Man kann hier wohl eine Übereinkunft innerhalb der Tradition vermuten, die Finsternis ans Ende des Jahres zu setzen, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat, so auch in der Volkssage nach Beykirch:
"[...] Der September und Oktober wird ein großes Blutvergießen mit sich bringen.
Im November wird man Wunderdinge sehen. Um diese Zeit ist das Kind 28 Jahre alt, dessen Säugamme von Morgen sein wird. Dieser wird große Dinge verrichten." <= Nämlich der Jesusklon, der in etwa dem selben Alter wie der ursprüngliche sein Wirken beginnen soll.
zweite Kommen des Messias und das messianische Zeitalter und sind noch nicht erfüllt
Das wird meines Erachtens auch nichts, weil es sich um eine Idee der magischen Kultur des nahen Ostens handelt, die wir mit dem christen Glauben importiert haben, ohne sie uns innerlich je zueigen machen zu können. Im Grunde widerspricht ein Weltenende mit vorausgehendem Messias dem Weltbild der faustischen Kultur, das mit einer räumlichen und zeitlichen Unendlichkeit rechnet. So erklärt sich wenigstens mein instinktiver Widerwillen als Abendländer, ein "messianisches Zeitalter" mit ewigem Eierkuchen als real anzunehmen. Bestenfalls gibt es eine Stabilisierung nach Niedergang mit anschließender Cäsur, die relativ gesehen wie ein goldenes Zeitalter wirkt, in dem auch Götter wiederkehren in dem Sinne, daß die Dinge wieder entsprechend der natürlichen Ordnung entfalten.
In der oben angeführten Textpassage aus dem Brief an Heinrich II. spricht Nostradamus von einem großen "Wegschaffen".
Es wird im Monat Oktober sein, daß es zu einem großen "Wegschaffen" an einen anderen Ort kommt, dies derart, daß man denken wird, die Erde habe ihre natürliche Bewegung verloren und sei in ewige Finsternis gesunken.
"Wegschaffen" ist meines Erachtens eine falsche Übersetzung. Im Originaltext lautet der Satz:
"[...] & ſera au moys d’Octobre que quelque grande tranſlation ſera faite, & telle que lon cuydera la peſanteur de la terre auoir perdu ſon naturel mouuement, & eſtre abiſmee en perpetuelles tenebres, [...]"
Unsere Übersetzung:
"[...] Im Monat Oktober wird es eine so große Verschiebung geben, daß man glauben wird, die Schwerkraft der Erde habe ihren natürlichen Gang verloren und sie wäre in ewige Finsternis gestürzt. [...]"
"Translation" bedeutet laut Mittelfranzösischlexikon im heutigen Deutsch soviel wie: "Verlagerung", "Verlegung", "Umsetzung" von lat. "translatio" ("Übertragung", "Übersetzung") bzw. lat. "transferre" ("übertragen", "verschieben", "verwandeln").
Hört sich das nicht sehr nach biblischer Entrückung an?
Etymologisch ist "trans-ferre" gleich "hinüber-tragen". "Wegschaffen" ist eine eindeutig tendenziöse Übersetzung, die aus dem Text meines Erachtens nicht hervorgeht. Der Übersetzer überträgt seine Idee der Entrückung in den Nostradamustext, wodurch er seinen Beweis dem religiösen Zirkelschluß entsprechend selbst erzeugt.
Die Idee der Entrückung der 144.000 Bräute Jesu, die dann (nachdem er dem großen Rest der Menschheit mit der Eisenbarre die Schädel eingedroschen hat) mit ihm in polygamer Ehe zur Rechten Gottes leben, ist eher die vom Wahn umfächelte Einbildung bigotter Frömmler, die sich zu Halbgöttern erheben wollen.
Auch die Vögel aus dem Buch der Offenbarung könnten sich am Ende des Briefes bei Nostradamus (in Form von Aasgeiern?) eingefunden haben: Vor diesen Ereignissen werden einige ungewöhnliche Vögel durch die Luft "Huy huy" schreien, um nach einiger Zeit wieder zu verschwinden.
Damit liegst Du wiederum richtig.
"[...] & auant iceux aduenemens, aucuns oyſeaux inſolites crieront par l’air. Huy, huy, [...]"
Übersetzung:
"[...] Vor diesen Ereignissen werden einige ungewöhnliche Vögel durch die Luft "Hui, Hui!" schreien. [...]"
Für "huy, huy" gibt es verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten:
1. Mfrz. "hui" = "Getöse", "Schrei", "Schlachtschrei", "Wutschrei". Das Wort stammt direkt vom Verb "huir" ("schreien" bei Vögeln) oder "huer" ("buh rufen") ab, welche jeweils die lautmalerische Nachahmung der Vogelschreie sind.
2. Mfrz. "hui" = "Heute" von lat. "hodie" ("heute").
Beides scheint plausibel, wobei die Doppeldeutigkeit von Nostradamus mit einiger Sicherheit gewollt ist.
"Heute"/"hodie" könnte durchaus auf den "jüngsten Tag" verweisen, den Nostradamus im Sinne hatte.
Nostradamus' Anlehnung an die Offenbarung (und andere Endzeitprophetien wie den Pseudo-Methodius), ist allerdings keine Bestärkung deren vermeintlichen Gewichts, sondern bildet lediglich einen Zugang zu seinem Weltbild, das zu verstehen hilft, wie Nostradamus selbst das Weltgeschehen interpretierte und Dinge, die er womöglich sah, in einem größeren Rahmen einordnete. So dienen zwar die Offenbarung und die Überlegung, wie Nostradamus sie verstanden haben mag, als "Schlüssel" (aber nicht den berühmten "Schlüssel", der immer postuliert wird) zu Nostradamus, umgekehrt hilft Nostradamus nicht, um zu verstehen, wie die Offenbarung eigentlich gemeint war.
Die Vögel sind eher als abstraktes Symbol aus der Offenbarung zu verstehen, womit Nostradamus ein katastrophales Blutvergießen ankündigt. Er greift sie auch (im Singular) in II/75 auf:
La voix ouye de l’inſolit oyſeau,
Sur le canon du reſpiral eſtage:
Si hault viendra du froment le boiſſeau,
Que l’homme d’homme ſera Antropophage.
Die Stimme des ungewöhnlichen Vogels gehört,
Über die Ordnung1 der luftigen2 Ebene3.
So hoch kommt von Weizen der Scheffel,
Daß der Mensch des Menschen Menschenfresser4 wird.
1 Lat. „canon“ = „Regel“, „Regelwerk“, „Meßstab“, „Richtschnur“, „Abmessung“ von lat „canon“ („Regel“, „Richtschnur“, „festgesetzte Ordnung“). Das Wort bezeichnet auch die Zusammenstellung der biblischen Bücher sowie das Kirchenrecht und das Hochgebet in der Liturgie.
2 Mfrz. „respirail“ = „Öffnung“, „Belüftung“ von lat. „respirare“ („ausatmen“, „aufatmen“, „zurückwehen“, „entgegenblasen“, „sich wieder erholen“).
3 Mfrz. „étage“ = „Stand“, „Behausung“, „Bleibe“, „Aufenthalt“, „Wohnraum“, „Stockwerk“, „Stufe“, „Geschoß“, „Ort“, „Stelle“, „Zustand“, „Lage“, „Erstreckung“.
4 Altgr. „ἀνθρωποϕάγος“ („ánthropophágos“) = „Menschenfresser“.
Die identische Wortwahl "insolit oyseau" weist direkt auf die entsprechende Stelle im Brief hin. Die "windig Ebene" ist die Erde. Nach antiker Vorstellung lag darüber die normale Luft ("aër"), über welcher der Aether lag, den die Götter atmen. Über die auf Erden herrschende Ordnung wird das Gericht angekündigt.
In diese Epoche fällt eine große Hungersnot. Der Scheffel ist eine alte Maßeinheit für Getreide, welches hier derart rar und wertvoll wird, daß in der Bevölkerung Kannibalismus ausbricht. Die Aussage entspricht der Offenbarung des Johannes: "Als es das dritte Siegel öffnete, hörte ich das dritte Wesen rufen: 'Komm und sieh!' Und ich sah, und siehe, ein schwarzes Roß, und der auf ihm saß, hatte eine Waage in seiner Hand. Ich hörte inmitten der vier Wesen eine Stimme rufen: 'Ein Maß Weizen um einen Denar und drei Maß Gerste um einen Denar! Dem Öl aber und dem Wein füge keinen Schaden zu!'" (Offb. 6,5-6)
Wie so oft sagt Nostradamus einiges, ohne tatsächlich etwas zu sagen, indem er in Symbole aus der Offenbarung verpackt, was möglicherweise eine reale weltgeschichtliche Cäsur ist. Allerdings muß diese nicht alle Kennzeichen erfüllen, die dem Endgericht in der Offenbarung zukommen. Nostradamus setzt aufgrund seiner religiösen Verwurzelung mit dem Offenbarungsgeschehen gleich, was er möglicherweise als reale Schau sah. Will man diese Möglichkeit nicht annehmen, so sind entsprechende Stellen bei Nostradamus wohl für die Tonne, weil es sich um ein Vollplagiat ohne Erkenntnisgewinn handelt.
Die Bibel scheint mir die wahre Quelle zu sein.
Auch da könnte einem Nostradamus die Flausen austreiben.
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II/27
Le diuin verbe ſera du ciel frappé,
Qui ne pourra proceder plus auant:
Du reſerant le ſecret eſtoupé,
Qu’on marchera par deſſus & deuant.
Das göttliche Wort wird vom Himmel geprägt1,
Das nicht mehr voran kommen kann.
Das Geheimnis des Offenbarenden2 verstopft3,
Daß man drüber und vorbei geht.
1 Frz. "frapper" = "schlagen", "beeindrucken", "münzen".
2 Lat. "reserare" = "entriegeln", "öffnen", "erschließen", "eröffnen", "offenbaren".
3 Frz. "étouper" = "dichten", "abdichten", "ausstopfen".
Unsere Deutung:
Vom Himmel wird das göttliche Wort in die diesseitigen Niederungen herabgesenkt. Es wird in die Materie geprägt, wie man eine Münze prägt, die fürder das Abbild des Urmotivs wiederspiegelt. Allerdings kann es sich nicht durchsetzen, denn die Botschaft ist für den Menschen wie ein Buch mit sieben Siegeln. Seine Erkenntnisfähigkeit reicht nicht aus und er ist wie blockiert durch Irrlehren und falsche Vorstellungen, so daß sich das Geheimnis der Offenbarung nicht erschließt (= "verstopft"). Es ist nicht etwa die Offenbarung des Johannes gemeint, sondern die göttliche Wahrheit überhaupt (Joh 1,1: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort."). Der suchende Mensch tappt blind umher, findet den Zugang nicht, geht unwissend darüber hinweg und am Ziel vorbei. Der Vierzeiler steht inhaltlich wohl mit II/13 in Verbindung, der zeitlich nachfolgt und in dem dieser Zustand offenbar aufgehoben ist.
II/13
Le corps ſans ame plus n’eſtre en ſacrifice,
Iour de la mort mis en natiuité:
L’eſprit diuin fera l’ame felice,
Voyant le verbe en ſon eternité.
Der Körper ohne Seele wird nicht mehr verherrlicht,
Tag des Todes gemacht zur Geburt.
Der göttliche Geist macht die Seele glücklich,
Sehend das Wort in seiner Ewigkeit.
Unsere Überlegung:
Es scheint eine Zeit beschrieben zu sein, in der sich das Verständnis des Menschen vom Leben und der Welt grundlegend weiterentwickelt hat. Das Fleisch, die Materie, wird – im Gegensatz zu unserer Zeit – nicht mehr zum Götzen erhoben. Die Menschheit erkennt, daß es eine geistige Welt gibt und das Leben mit dem Tod nicht endet. Durch das Sterben streift die Seele den Körper ab und geht ins Jenseits über. Das Erwachen dort ist wie eine neue Geburt. Die Erkenntnis, wie göttlicher Geist alle Ebenen der Schöpfung erfüllt, dem Leben Sinn und Bedeutung gibt, erhebt die Seele. Das Wort ist das Wort Gottes, der Schöpfungsakt, die ewige Botschaft, die das Gesetz der Welt ist. Es liegt dem Menschen nun klar vor Augen.
Der Vierzeiler scheint inhaltlich mit II/27 zu tun zu haben, der das genaue Gegenteil beschreibt, nämlich die Unmöglichkeit die göttliche Wahrheit zu erkennen, weil der Mensch geistig blockiert ist.
Als Zusatz wäre hinzuzufügen: Wer es erst so weit gebracht hat, der hat spätestens dann Bücher nicht mehr nötig, um seinen Glauben daran zu hängen.
Gruß
Taurec
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„Es lebe unser heiliges Deutschland!“
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„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“