Moin und Servus
DvB operiert mit einem anderen Ideologiebegriff als BB und detlef. Und überdies mit einem, der ungebräuchlich ist. Schon darum könnte hier die Diskussion ewig so und unbefriedigend weitergehen.
Was DvB unter "Ideologie" versteht, wird in Argumenten wie z.B. diesem deutlich:
"Grrr. Sich kloppen oder überleben wollen, sind auch Zielvorstellungen und damit Ideologien. Dir gefällt doch bloß das Wort nicht, weil es inzwischen eine marxistische Sekundärbedeutung dafür gibt!"
Dagegen ist zu sagen: Nicht jede Zielvorstellung ist schon eine Ideologie. Oder anders gesagt: In dem Fall wäre auch mein Gedanke "Ich will heute baden" schon eine Ideologie, bloß weil ich hier ein Ziel mir ausdenke. Selbst wenn ich eine Begründung für dieses Ziel mir ausdenke ("Ich will heute baden, weil ich mir etwas Gutes tun will"), ist das noch keine Ideologie (jedenfalls nach allgemeinem Sprachgebrauch, der durchaus unterschiedliche Bedeutungen aufweist!). Auch der Verbrecher, der einen anderen ausraubt oder ermordet (mit oder ohne Angabe einer Begründung), hat zwar zweifellos ein Ziel, das er in die Tat umsetzt - aber er ist damit eben noch lange kein Ideologe; selbst wenn es es sich um eine Verbrecherbande handelt, die ihren Plan gemeinsam ausheckt und logistisch und anderweitig ausklügelt, handelt es sich bei all diesen Planungsinhalten, Diskussionen um Vorgehensweise und Verteilung der Beute um keine Ideologien.
Der Begriff "Ideologie" wäre wertlos, wenn er keinen eigenständigen Inhalt hätte. Wenn er zusammenfiele mit einem anderen Bedeutungsinhalt wie "Zielvorstellung". Oder gar mit einer noch allgemeineren Bedeutung, nämlich der, überhaupt ein Gedanke zu sein, etwas "Gedachtes" zu sein.
Auf detlef antwortet DvB einmal:
"Sowas könnte ich als instinktives Verhalten durchgehen lassen. Das wäre dann (!!!) keine Ideologie, richtig."
Und:
"Lebensweisen ohne Zielvorstellungen gibts vielleicht heute oder in spätrömischer Zeit (und bei Tieren, die eben bloß instinktiv (!!!) handeln). Nach England übersetzen, Heere aufstellen usw. - das ist ein ganz schöner logistischer Aufwand, ohne Zielvorstellungen nicht machbar."
Und auf BBs Bemerkung "'Ideologie' ist etwas abstrakt sich "Gedachtes" (keine glückliche Formulierung, aber BB wollte, verstehe ich ihn richtig, "Ideologie" mit diesen Worten nicht auf den Begriff bringen, sondern kenntlich machen, dass Ideologien immer ein ganzes Theoriegebäude sind, mehr oder weniger kunstvoll errichtet), antwortete DvB:
"Zielvorstellungen sind immer - mehr oder weniger - "gedacht"; daher ja auch der von "Idee" her abgeleitete Wortstamm. Und zwischen "abstrakt" und "konkret" gibts aber unzählige Zwischenstufen. Wo willst Du denn da eine wirklich sinnvolle Grenze ziehen? Und um allein diese Frage nicht schon als gerade so ein Abstraktum zu qualifizieren: Überlege Dir doch bloß mal, welchen Rattenschwanz an abstrakten Überlegungen Du anstellen mußt, um die Qualität von Schauungen zu untersuchen - und auf wieviel "abstrakter Ideologie" darum nachher die resultierenden Handlungen beruhen!"
Wenn jede Idee, wenn alles "Gedachte", wenn jede einzelne, bloße, einfache Überlegung bereits Ideologie wäre, dann wäre tatsächlich auch all das Ideologie, was ich nun aufzähle: meine Überlegunen, ob ich dieses hier schreibe oder doch lieber darauf verzichte, meine Vorstellung, mir nicht alles gefallen zu lassen, meine Überlegungen, diese Vorstellung, wenn nötig, auch in die Tat umzusetzen, sowie meine Träume von einem unbehelligten Leben (auch das sind ja Gedanken, Wünsche, 'schöne' Ideen) usw.
Der Begriff "Ideologie" beinhaltet neben dem Wortstamm "Idee" eben auch das Anhängsel "logie"! Ideo-logie. Das ist der kleine, feine Unterschied.
Nicht dass Wikipedia immer alles auf den Punkt bringen würde, aber es bietet doch oft Anhaltspunkte für weiteres Nachdenken.
Zu "Ideologie" steht da (http://de.wikipedia.org/wiki/Ideologie):
"Der Ausdruck Ideologie (griechisch ἰδεολογία Lehre von der Idee bzw. Vorstellung, von gr. ἰδέα (idea), Erscheinung, und λόγος (logos), Lehre) hat zwei grundsätzlich verschiedene Bedeutungen:
Als wertfreier Begriff ist Ideologie die allen politischen Bewegungen, Interessengruppen, Parteien, aber auch Konzepten immanente Summe der jeweiligen Zielvorstellungen (siehe Politische Ideologie).
Der insbesondere von Karl Marx geprägte Ideologiebegriff betrachtet Ideologie als Gebäude, das zur Verschleierung und damit zur Rechtfertigung der eigentlichen Machtverhältnisse dient; Marx spricht auch von "Überbau".
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Ideologie ein System von Ideen, Vorstellungen, Werturteilen und Begriffen und kann synonym zu Weltanschauung Verwendung finden."
Es stimmt also, dass es unterschiedliche Ideologiebegriffe gibt, ihnen allen gemeinsam aber ist, dass sie immer etwas meinen, was wesentlich mehr ist als irgendein Ziel oder gar ein bloßer Gedanke oder auch eine bloße Aneinanderreihung irgendwelcher Gedanken, die Menschen haben können. Der wesentliche, qualitative Unterschied wird schon deutlich in Stichworten wie "Summe...", "Gedanken-)Gebäude", "System von...". Sehr deutlich aber in der Herleitung aus dem Griechischen: "Lehre (!) von der Idee bzw. Vorstellung", "Lehre (!)" von der "Erscheinung". Hier geht es um die Behauptung einer (wissenschaftlichen) Objektivität hinsichtlich der Sichtweisen über das sog. Reale, also Gott und die Welt und was es sonst noch geben mag. (Während im Marxismus "Ideologie" für falsche, interessegeleitete Theoriekonstrukte / Welterklärungen steht.) Der Begriff "Weltanschauung", der im obigen Zitat zum Schluss als Synonym angeboten wird, sollte den Unterschied zu irgendetwas bloß Gedachtem oder Bezwecktem aber auch ganz gut deutlich machen: Natürlich ist eine Weltanschauung auch was "Gedachtes" (und geht mit Zwecksetzungen gewöhnlich einher), aber eine Weltanschauung ist halt doch mehr als eine bloße Behauptung wie z.B. "Die Sonne ist gelb" oder "Ich bin stärker als du, darum verkloppe ich dich und nehm dir auch noch deine Lederjacke ab" (für Lederjacke lässt sich auch Gold, kirchliche, fürstliche Besitztümer, Frauen, Kinder, Viehherden usw. einsetzen). Andrerseits ist klar, dass Zwecke einzelner wie ganzer Machtverbände und die Durchführung dieser Zwecksetzungen mit einer Weltanschauung (Ideologie) einhergehen können (schon aus Effizienzgründen, auch erhalten bestimmte kollektive Interessen ihre Macht und Wucht erst durch eine entsprechende, Leute zusammenschweißende wie sich selbst überhöhende und dann nach außen aggressiv eingesetzte Ideolgie), wie z.B. (mir jetzt total aus den Fingern gesogen): "Die internationalen Finanzspekulanten sind die Verursacher unserer Finanz-, Wirtschafts- und Staatskrisen, sind die Speerspitze des blutsaugenden, die arbeitenden Klassen ausbeutenden Kapitalismus, sind verantwortungslose Verbrecher an von 'uns allen' mühsam Erarbeitetem und gehören (alternativ) schärfer besteuert / reglementiert/ enteignet / umerzogen / erschossen / in die nationale, politische Verantwortung genommen."
Gruß
Richard