Moin detlef
Dass man einen Schauungsinhalt auch dann als eine Warnung verstehen kann, wenn er nicht direkt den Sehenden, aber Leute betrifft, die über den Sehenden vermittelt von diesem Schauungsinhalt Kenntnis erlangen, unterschreibe ich gerne. Das ist bei meinem Etikett Hilfe als übergeordneter Gedanke zur Warnung ja auch unterstellt.
Wobei ich bei beiden Vorstellungen, Warnung wie Hilfe, vorsichtig wäre. Wir können einen Schauungsinhalt so verstehen, weil wir aus unserem praktischen Interesse heraus ihn beurteilen, das Gesehene (selbst gesehen oder davon gehört oder gelesen) auf uns, auf unser künftiges Wohlergehen, auf die Wirkungen, die das Gesehene auf uns haben kann oder wird, betrachten. Wir nehmen als potentiell Betroffene das Gesehene also als Warnung (oder hilfreiche Kunde). Aber voreilig wäre es, aus der Erkenntnis, dass ein Schauungsinhalt (passiv) durch einen sensitiv veranlagten Menschen empfangen (erlitten) wird, den Schluss auf einen (aktiven) Sender zu schließen, quasi auf der anderen Seite des Informationswegs. Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausdrücke: Es ist ein Unterschied, ob ich sage, dass mir ein bestimmtes Wissen (Schauungsinhalt) zur Warnung wird (hilfreich für mein eigenes künftiges Verhalten in meinem egoistischen Interesse), ich dieses Wissen für mich also als Warnung nehme, oder ob ich sage, da hat mich jemand (ein Subjekt) oder etwas (ein uns nicht vorstellbares Etwas) gezielt, womöglich bewusst (so wie wir uns bewusst vorstellen) gewarnt also mit der Absicht, uns zu informieren, auf dass wir die Möglichkeit haben, uns praktisch darauf einzustellen. Ich will letzteren Gedanken nicht bestreiten (wer sehr religiös veranlagt ist, wird ihn vermutlich sogar wie selbstverständlich bejahen), ich will nur sagen: ein solcher Gedanke, ein solcher Schluss, der mit dem Begriff Warnung (mit dem Begriff Hilfe allerdings auch) zumindest nahegelegt wird, lässt sich aus der Vorstellung, dass mir eine Schauung zur Warnung wird, nicht ziehen.
Banales Beispiel (nicht aus dem Schauungsbereich, sondern aus der praktischen Erfahrung): Ich bin auf einem See und sehe im Südwesten über dem Gebirge dunkle Wolken heraufziehen; es ist Nachmittag und Sommer. Aus der Erfahrung weiß ich, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit hier auf dem Wasser bald stürmen, donnern und blitzen wird. Ich nehme das, was ich heranziehen sehe, als Warnung aber ich kann (sofern mir keine weiteren Informationen vorliegen) nicht sagen, die Erscheinung am Himmel oder jemand oder etwas anderes würde mittels der mir offenbarten Erscheinung am Himmel mich (gezielt) warnen.
Insofern möchte ich, dass auch mein vorhergehender Beitrag, dass Warnung zu eng und Hilfe eine geeignetere übergeordnete Vorstellung zu Schauungen sei, nicht missverstanden wird. Beide Begriffe, Warnung wie Hilfe, sind bloße Etikettierungen, die einem persönlich nützlich sein können, den Vorgang bzw. das Wesen einer Schauung selbst aber nicht weiter erhellen (weder beschreiben noch erklären). Eher sind beide Begriffe geeignet, etwas zu verunklaren. Für unseren praktischen Umgang allerdings förderlich! Du siehst etwas und nimmst es als Warnung. Gut! Schlecht wäre es, Du nähmst es nicht als Warnung. Ebenso mein Beispiel der Goethe-Vision (über welche Du, mangels Information, nichts schreiben willst): Diese Vision war Goethe eine Hilfe (unmittelbar, ohne weiteres Nachdenken, schon gar ohne irgendwelches Nachdenken über das, was eine Vision sei), eine Hilfe, die seiner Seele gut tut, die seinen Schmerz linderte, ihm eine Last nahm ich (!) bin mir nach dem wenigen, was ich als Erlebnisbericht lese und worin ich mich bestens einfühlen kann, darin ganz sicher. Du kannst, wenn Du willst, meine Behauptung zu dem von Goethe beschriebenen Vorgang so nehmen, wie ich Dir Deine Visionen, von denen Du schreibst, abnehme.
Am Beispiel Goethes lässt sich sehen, dass nicht jede Vision eine Warnung sein muss. Mit Visionen, die wir für uns als Warnung nehmen können, hat sie aber gemein, dass sie nützlich war für Goethe. Und auch wenn es ganz unwesentlich ist, was ich dazu denke: Ich bin froh, dass es auch solche Visionen gibt. Der Inhalt einer Warnung hat ja immer etwas Bedrohliches, die Ankündigung eines möglichen Schadens an sich (auch wenn die Information selber ganz nützlich sein kann). Eine Vision, wie sie Goethe nach seinem Bericht erlebte, hat durch und durch, also vom ersten Ausgangspunkt bis zum Ende für den eine solche Vision Erlebenden etwas Gutes, Nützliches, Unterstützendes, Stärkendes, Heilendes (steck mich jetzt nicht in irgendeine Esoteriker-Ecke). Auch wenn man in einem solchen Fall vielleicht sagen kann, dass auch diese Art Vision erlitten wird, so kann sich der Erleidende glücklich schätzen, wenn er sie erleidet. (Die Frage, ob eine Vision wie die von Goethe von außen geschickt wurde oder sein Wesen, aufgrund seiner Sensibilität in Verbindung seines Leidendrucks in jenem Moment, sich selber den Zugang zu einem späteren, sein Leben betreffenden Ereignis verschaffte dieses nicht bewusst, nicht gesteuert, sondern auf eine für ihn und uns unerklärliche, ihn aber schützende Weise -, wäre nur spekulativ beantwortbar.) Wie gesagt: Ich bin froh, dass es auch solche Visionen gibt! Und vielleicht hilft es auch anderen, all den ganz unterschiedlichen Schauungen, über die wir uns hier zusammenfinden und die uns beschäftigen, zuzugestehen, dass sie keineswegs ihrer Natur entsprechend Zukünftiges, das eigene wie das kollektive Leben betreffend, grundsätzlich nur Bedrohliches an die Wand malen müssten. Malen sollten sie ja ohnehin nicht, nur zeigen.
Zu Irlmaier: Meine Argumentation behauptet nicht, dass ein guter tischler notgedrungen auch ein guter schmied sein müsse, weil beides handwerk sei. Irlmaier führte ich ohnehin nur als Beispiel an, dass es auch Schauungen gibt, die nicht als Warnung, sondern mitunter auch mal nur auf eine andere Weise als hilfreich verstanden werden können. Um in Deinem Bilde zu bleiben. Wenn ich sage, dass ein Tischler ein nützliches Handwerk betreibt und dass ein Schmied ein nützliches Handwerk betreibt, dann sage ich noch lange nicht, dass beide dasselbe machten. Oder gar jeder Tischler oder Schmied ihr Handwerk gut machten. Oder gleich gut.
Und wie gut der Seher Irlmaier war, ist in der Tat eine gute Frage. (Und es zeichnet einen guten Mann oder eine gute Frau aus, wenn er oder sie diese Frage sich immer wieder stellt, statt bei der Beschäftigung mit Irlmaiers Schauungen, über die uns berichtet wird, einfach nur große gläubige Augen zu machen.) Im persönlichen Bereich scheint er jedenfalls vergleichsweise gut gewesen zu sein. Was die damalige Gegenwart betraf, oder die damalige Vergangenheit. Wie er zu seinen Ergebnissen kam, ist mir zunächst nicht wichtig. Wenn man den Berichten glauben darf, dann ist an diesen zunächst festzustellen, dass er zumindest zum Teil außergewöhnlich gute Ergebnisse lieferte. Also nützliche. Mehr kann man nicht erwarten weder von einem Tischler noch von einem Schmied oder einem Seher. Wie ein Handwerker oder Seher zu seinem guten (und preiswerten) Ergebnis kommt, ist eine nachrangige Frage, den Kunden interessiert das in der Regel nicht, höchstens Typen wie uns. Aber auch dann nur, weil und wenn die Ergebnisse gut sind (oder uns so erscheinen), andernfalls wären die Techniken, die Spezifikationen der Ergebnisfindungen eines Irlmaiers auch für die allermeisten von uns hier uninteressant.
Weil Du schreibst:
so aus dem kopf fallen mir keine schauungen von ihm ein, die sich erfuellt haben.
Mir schon. Aus dem Kopf (und aus der Zeit meiner Anwesenheit im alten Zf) zwei Beispiele:
- Er mahnte Leute, die bei ihm waren, bei der Heimfahrt aufzupassen, er warnte, soweit ich mich dunkel erinnere, vor einem LKW; und tatsächlich soll (!) während der Heimfahrt auf der Straße ein Laster vor dem Auto der Gewarnten Holzstämme verloren haben, welchen Irlmaiers Besucher nur entgingen, weil sie vorsichtig gefahren und ihr Auto gerade noch rechtzeitig an den Straßenrand gefahren hatten.
- Einer Frau riet er ab, ihren Mann für tot erklären zu lassen, weil sie wieder heiraten wollte. Irlmaier warnte sie vor einem Unglück, das sie damit hervorrufe, denn ihr Mann würde aus Russland zurückkommen. Und so soll es dann auch geschehen sein.
Zwei einfache Beispiele, die man glauben kann oder nicht, einmal nur und einmal zum Teil ein zukünftiges Ereignis betreffend, jeweils nur den unmittelbar persönlichen Bereich der Ratsuchenden berührend. Beides Mal Warnungen.
Aus dem Kopf fällt mir wie Dir nichts ein, wo Irlmaier uns kollektiv betreffende Ereignisse mitgeteilt hätte, die sich bereits erfüllt hätten. Es sei denn, man zöge sehr schwammige, sehr weit auslegbare Dinge heran, wie Glaubenszerfall, Inflation usw. Bei den Zeitangaben, hier rauf und runter durchgehechelt, irrte er; unser Konsens ist ja, teils aufgrund späterer Eigenaussagen, dass er bei den Zeitangaben nur riet, nicht wirklich was sah, was ihn zu seinen Behauptungen berechtigt hätte. Das spricht nicht für ihn, allerdings auch nicht unbedingt gegen ihn. Wir kennen ja inzwischen das Argument: Es könnte sich ja noch ereignen
und bloß, weil ich sehe, dass es hageln wird, es bis heute Nachmittag aber noch nicht gehagelt hat, ist meine Schau (Warnung) ja nicht nachweislich falsch.
Aber wenn wir Irlmaier unter diesem Gesichtspunkt diskutieren, verlassen wir meinen kleinen Einwand gegen Dich, was Deine grundsätzliche Identifizierung von Schauungen als Warnungen angeht. Denn auf dieser Ebene könntest Du nur fragen, ob der Seher Irlmaier ein guter Warner sei (wie andere gute Tischler oder Brunnenbauer). Während ich gegen die Gleichung Schauung = immer eine Warnung einwende, dass Schauungen auch mal anderer Art sein können. Wie ein Tisch eben kein Schwert ist. Beides durchaus nützlich. Und beides das Ergebnis von Handwerkskunst.
Gruß
Richard