Guten Tag!
Ich bedanke mich bei @Ulrich und @Randomizer für Ihre historischen Tiefenbohrungen, indem ich eine eigene Bohrung zur Wallraff hier einstelle.
Sie war wohl nicht gebildet genug, um die von Ulrich zitierten Traditionen zu kennen. Allenfalls könnte die Vorhersage zu Papst und Köln durch ihren Herausgeber, den Ortspfarrer Heinen, in den Text ihrer Prophezeiungen hineingeraten sein, doch halte ich das für wenig wahrscheinlich. Vielmehr scheint die Wallraff eine genuine seherische Resonanz zu den lokalen Verhältnissen gehabt zu haben, denn ihr Leben hat sich ganz im Raume Köln abgespielt.
Es findet sich nichts von ihr in der Sammlung Beykirch (siehe unten Quellen 1), allenfalls könnte der prophetische Franzose aus dem Elsaß ihre Voraussage zu Köln aus den Voix von Curicque kennen - das würde aber voraussetzen, dass der prophetische Franzose ein halber Deutscher war bzw. Deutschland in seinem persönlichen Focus hatte (darum auch seine Voraussagen regional auf den Süden Deutschland?). Denn in der französischen Prophezeiungstradition spielen deutsche Themen und Orte eigentlich nur eine nebensächliche Rolle (siehe unten Quellen 2).
Falls die Papst-Köln-Voraussage des prophetischen Franzosen tatsächlich auf Wallraff/Curique zurückgeht, so zitiert er sie unvollständig. Im Original lautet sie dort: "D’apre`s Hélène Wallraff, il arriverait aussi qu’un Pape fugutif, suivi seulement de quatre cardinaux, viendrait se réfugier à Cologne."
Das heißt: die Prophezeiung hat bei Wallraff ein weiteres, auffälliges Charakteristikum, nämlich die vier Kardinäle. Die Frage ist, ob dies ein literarisches Motiv der Prophezeiungstradition ist oder genuin von Wallraff stammt und damit wertvoll ist (in irgendeinem Text der Tradition ist ja die Rede von "wenigen Getreuen", meines Wissens aber nach Wallraff).
Umgekehrt hat der prophetische Franzose neben dem regierenden Papst noch das Motiv des Friedensschlusses - da wüßten wir gerne, ob das auf die Wallraff zurückgeht - können wir aber nicht mehr nachprüfen (siehe aber ganz unten das Zitat aus dem Wörterbuch Aberglauben).
Ein paar ganz wenige Infos zur Wallraff findet man in einem Büchlein von 1849 (Quellen 3), Curicque hat seine Zitate wohl daraus oder aus aus einer deutschen Schrift jener Jahre (ebenfalls Quellen 3). Diese waren aber nur extrem knappe Auszüge aus einem sehr großen Werk, das der Ortspfarrer der Helena Wallraff im Lauf mehrerer Monate nächtens aufgeschrieben hat - während die Wallraff in Ekstase vor ihm stand und diktierte. Wegen diesem Manuskript wurden die beiden von den Franzosen 1799 verhaftet, eine Kopie gelangte jedoch vorher an den letzten kurfürstlichen Erzbischof von Köln, Maximilian Franz (der Förderer von Beethoven!!), der es mit nach Wien nahm, wo es Mitte des 19. Jahrhunderts noch lag. Vermutlich ist es nun verschollen - schade! Wenn man es heute noch finden könnte, würde man wahrscheinlich einige Dinge mehr zur Zukunft von Köln und zum Weltgeschehen wissen. Denn die Wallraff war wohl eine echte seherische Begabung. Zu ihrer Zeit konnte sie diese Begabung allerdings nur im Rahmen des katholischen Glaubens leben und ausdrücken.
Ich komme nochmals zurück auf den prophetischen Franzosen. Die Diskussion habe ich nur angefangen aus methodischen Gründen, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir bei der Beurteilung von Schauungen einerseits danach fragen müssen, ob der/die Schauende sogenannte Bestätigungen vorweisen kann. Im Falle des prophetischen Franzosen finden sich in den ersten Teilen der Feldpostbriefe ja einige entsprechende Anhaltspunkte (vorausgesetzt die Briefe stammen tatsächlich aus dem Jahr 1914, und die von Bender recherchierten Hintergründe sind korrekt). Neben solchen Bestätigungen muss man sodann weiter prüfen, wie eine Voraussage sich zur Tradition verhält, d.h. wie weit sie einerseits mit der Tradition identisch ist und von ihr somit wahrscheinlich abstammt, und inwiefern sie andererseits von der Tradition abweicht.
Besonders das Letztere ist dann wichtig, im Falle des Franzosen etwa die Hinweise auf die Naturkatastrophenereignisse in Bayern, auf Kriegsgerät, Flucht und Revolution der Russen, auf die Schweizer Hilfe. Derartige Information machen eine Voraussage nicht sicherer, aber in gewisser Weise wertvoll. Die hier aufgezählten Merkmale gelten demnach auch für die Beurteilung der Voraussagen etwa von NeuOrest, Schippie und Aeneas, die ich für wichtig erachte und die ich gerne kommentiert hätte, aus Zeitgründen aber leider nicht kann. Diese aktuellen Schauungen gehen inhaltlich über das, was wir bereits wissen, nicht hinaus. Aber sie bringen neue Farben ins Spiel, und das lässt sie, ganz wie die Feldpostbriefe, authentisch erscheinen.
Ich wünsche dem Forum einen schönen Sonntagnachmittag!
Sagitta
Quellen 1: Beykirch zum Download http://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/ob/content/titleinfo/719501
Übrigens auf Seite 73 dort die berühmte Voraussage von 1622 auf den Verlauf eines unbekannten aber wichtigen Jahres:
Der Monat Mai wird sich mit Ernst zum Kriege rüsten; aber es ist noch nichte Zeit. Der Monat Juni wird auch zum Kriege einladen; aber dann ist es auch noch nicht Zeitl. Der Juli wird erst grausam handeln, daß viele von Weib und Kind Abschied nehmen müssen. Im August wird man an allen Enden der Welt von Krieg horen. September und Oktober werden ein großes Blutvergießen mit sich bringen. Im November wird man Wunderdinge sehen. Um dies Zeit ist das Kind 28 Jahre alt, dessen Säugamme von Morgen sein wird. Dieser wird große Dinge verrichten.
Quellen 2:
Die großen Sammlungen der französischen Prophezeiungen findet man hier zum Download
http://livres-mystiques.com/partieTEXTES/Propheties/table.htm
neu aufbereitet und leichter durchsuchbar auch hier:
http://www.touteslespropheties.net/
Quellen 3:
Titel: Helena Wallraff von Brüggen, Pfarrei Kirdorf bei Lechenich, die merkwürdigste Seherin am Rhein
Autor: Engelbert Jos Heinen Verlag Fr. Kreuder, 1849
Original in der Bayerischen Staatsbibliothek, digitalisiert 18. Febr. 2009
https://download.digitale-sammlungen.de/pdf/1407628479bsb10068333.pdf
Wallraff, Helena (hrsg. von Heinen, Engelbert Michael Josef),
Büchlein des Trostes
Euskirchen (Kreuder) 1850, 77 S.
(enthält Auszüge aus ihren Prophezeiungen, aber das Buch ist in D nur in der UB Köln vorhanden - vielleicht kann jemand mal vorbeischauen oder sich über subito eine Kopie bestellen).
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Interessant auch der Eintrag zur Wallraff im Wörterbuch Aberglauben: "Helige Lin, Helena Wallraff aus Brüggen, um 1800, diktierte dem Oheim des Pfarresrs Heimen, der es herausgab, das Büchlein des Trostes, das 1850 erschien: Flucht des Papstes nach Köln, Kriege durch Europa, der Türke wird gerufen, Weltfriede in Köln."