Hallo Sagitta!
"Der regierende Papst ist dann dabei beim Friedensschluss, muss aber zuvor in Italien fliehen, da er als Verräter hingestellt wird, und er kommt nach Köln, wo er nur einen Trümmerhaufen findet, alles kaputt."
Das ist eine triviale Aussage (vielleicht den "Verräter" ausgenommen), die wir von anderen Prophezeiungen kennen. Aber von welchen Quellen genau genommen?
Dazu hatte ich bereits 2012 @Baldur folgendes vermutet:
"Der prophetische Franzose, auch sonst wohl recht gebildet und belesen, war wahrscheinlich mit den einschlägigen französischen Prophezeiungen des 19. Jahrhunderts vertraut, ich vermute er kannte Curicques zweibändige 'Voix prophetiques' (EA 1871, die maßgebliche Sammlung seinerzeit), alternativ möglicherweise auch Baron de Novayes Prophezeiungssammlung 'Demain' (EA 1905). Der Antichrist-Einschub mag auch daher wurzeln (literarisch), das Motiv war aber im 19. Jahrhundert derart weit verbreitet, daß der Franzose dies genauso leicht aus dem Volksmund kennen konnte."
Taurec teilt zwar inzwischen meinen Verdacht bzgl. Curicque (1872) als Vorlage für einige Feldpostbrief-Fragmente, es gibt aber noch weitere Möglichkeiten: Da der prophetische Elsässer nämlich fliessend deutsch sprach, dürfen wir uns genauso in der deutschsprachigen Literatur umsehen (siehe unten).
Beispielsweise kennt Ellerhorst vom angeblichen Seher Kugelbeer eine Flucht (in einem alten Wagen) nach Genua und dann weiter nach Lyon (übrigens: es gab schon im Mittelalter Papstfluchten nach Genua und Gaeta ...).
Kugelbeer hast Du als Beispiel ganz unglücklich gewählt, denn Ellerhorsts Kugelbeertext ist eine Fälschung (Erstdruck 1950) imho teilweise basierend auf Konzionator (Erstdruck 1920) und kommt von daher unmöglich als Vorlage für den prophetischen Elsässer (1914) in Frage.
Die Stadt Köln taucht nach meinem Kenntnisstand zum ersten Mal als Papstfluchtpunkt namentlich auf bei Helene Wallraff (um 1800). Die Voraussage eines fliehenden Papstes ist somit gängig und uralt - einfach trivial.
Bingo, die Vorlage für das obige Rill-Fragment ist gewiß Helena Wallraff. Die Primärquelle ist wiedermal Beykirch:
"[...] Alsdann aber werden alle Stände von einem wahrhaft frommen Sinne durchdrungen sein. Gerechtigkeit und Frieden werden auf der Erde herrschen. Ein unbeachteter Fürst, dessen Haus viel von der Ungunst der Zeit gelitten, wird der Welt diesen Frieden geben. Der flüchtige Papst wird in Cöln residiren, jedoch nur 4 Cardinäle haben."
=Beykirch, Theodor: Prophetenstimmen, Paderborn ³1849, Seite 77
"Bei Cöln oder in Cöln, soll der Weltfriede geschlossen werden.[...]"
=Heinen, E. J.: Helena Wallraff von Brüggen, die merkwürdigste Seherin am Rhein. Euskirchen 1849, S. 23
Die Zerstörung Kölns ist bei Helena Wallraff nicht ausdrücklich betont, aber implizit, zumindest wenn man all die anderen Prophezeiungstexte bei Beykirch berücksichtigt (Endschlachten am Rhein, Jasper, Spielbähn, etc.). Da sich eigentlich alle Fremd-Motive in den Feldpostbriefen bereits bei Beykirch (1849) finden, müssen wir gar nicht unbedingt Curicque (1872) bemühen. Ob der prophetische Elsässer direkt aus Beykirchs Prophetenstimmen schöpft oder nur indirekt über eine der späteren Anthologien (Truelle ²1850, Curicque 51872, Warnefried 1873), ist wohl schwer zu entscheiden.
Es besteht also die Möglichkeit, dass der berühmte "französische Prophet von Colmar" zumindest in Teilen der beim Verhör weitergegebenen Prophezeiungen nicht auf eigenen Schauungen ruht sondern allgemein in der Schauungsszene schon bekannte Aussagen verwendet hat - ganz ähnlich wie Irlmaier.
Diese wenigen Fragmente, die sich sehr gut aus der Literatur oder dem Volksmund eingeschlichen haben können, stellen die einzigartige Qualität der Feldpostbriefe imho nicht in Frage. Dein Vergleich mit einem Nichtsnutz wie Irlmaier ist daher völlig unpassend.
Viele Grüße
randomizer