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Skepsis (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 15.07.2021, 08:08 (vor 1077 Tagen) @ Dosenfutter (934 Aufrufe)

Hallo!

BBs mich zitierender Text sollte eigentlich schon Wesentliches enthalten. Es hat wenig sinn, sich nochmal zu wiederholen.

Man könnte es eigentlich wissen, wenn man Arthur Hübschers Buch "Die Große Weissagung" gelesen hätte, in dem er von den antiken Ursprüngen bis zum Beginn der sogenannten Neuzeit die Entstehung und Entwicklung dieser Sagenmotive (insbesondere des Großen Monarchen!) verfolgt. Die heute bekannten Prophezeiungen fußen unmittelbar auf dieser Tradition und enthalten insofern nicht das geringste Fünkchen echter Seherschau.
In ihren Ursprüngen ist das prophetische Grundgerüst ("Bestrafung der entarteten Menschheit durch große Katastrophen – Rettung durch einen großen Monarchen und zuletzt ein glückliches Zeitalter." vgl. Bender 1981, S. 142) eine religiöse, in die Zukunft projizierte Vorstellung und Erwartungshaltung, die offenbar schon Jesus begeistert hat, spätestens aber jene, die Jesus "dokumentierten" und ihn in die Urversion des Christentums einbauten, in der man bereits auf das Endgericht und Jesu Wiederkehr wartete. Seitdem bringt jede Generation ihre eigene Fassung dieser "großen Weissagung" hervor, in der die enttäuschten Naherwartungen ihrer Vorgänger auf den Stand ihrer jeweiligen Gegenwart gebracht werden, wobei aktuelles Zeitkolorit aufgenommen, Abwandlungen vorgenommen und neue Motive generiert werden, die mit dem Überlieferungsstrom mitgerissen werden.

Es hat wirklich keinen Sinn anzunehmen, daß irgend etwas Echtes daran sei, einfach weil ein 2000-jähriger Wust strukturell gleichartiger Voraussagen vorläge, allein aufgrund dessen schierer Masse schon ein wahrer Kern anzunehmen wäre. Das hieße, jegliche Verbindung all dieser Texte zu leugnen und eine nicht belegbare und bis zur Ausschließbarkeit unwahrscheinliche Deckung aufgrund gleicher Seherschau anzunehmen, statt gegenseitigen Abkupferns und Bezogenseins auf die selben kulturellen-religiösen Grundlagen. Es handelt sich um nichts weiter als einen "Gründungsmythos" oder "Ursprungsmythos", der anders als z. B. der trojanische Krieg nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft verankert ist. Wie bei vergangenheitsbezogenen Mythen handelt es sich aber um irreale Ereignisse aus glaubensmäßigen Zuschreibungen, die gerade deswegen als gemeinsame Klammer und identitätsstiftender Fixpunkt zu dienen können. Während die Römer so ihre Herkunft aus Troja begründen konnten, können gläubige Christen ihre Zusammengehörigkeit durch den Glauben an Christus und ihre zukünftige Vereinigung unter seiner Herrschaft im Rahmen des göttlichen Endgerichts begründen, zu dem all die Motive wie Krieg, Finsternis und der Große Monarch gehören.

Man könnte nun einwenden, wenn der trojanische Krieg oder das Nibelungenlied oder die Arthussage (als Beispiele für Ursprungsmythen) einen historischen Kern als Ausgangspunkt haben, der nicht irreal, sondern tatsächlich ist, könnte dies auch auf die zukunftsbezogenen Mythen zutreffen, so daß in der Prophetie ein realer Kern Zukunftswissens enthalten wäre. Dem wäre aber entgegenzuhalten, daß sämtliche Handlungsdetails, die Figuren und ihre Tragik eben Erfindungen sind, phantasievolle Ausgestaltungen des Urereignisses ohne den realen Gehalt historischer Ereignisse. Es mag zwar Troja gegeben haben, aber keine Helena, keinen Paris, keinen Priamos usw. Es mag zwar Arthus gegeben haben, aber keine Tafelrunde. Die Suche nach dem Gral ist mehr eine spirituelle Suche, die sich im Schicksal jedes Einzelnen wiederholt. Das Nibelungenlied spiegelt germanische Händel aus der Völkerwanderungszeit wider, aber Siegfried hat keinen Drachen getötet. Gleichwohl ist das Töten des Drachen, das auch in der Symbolik des Erzengels Michael erscheint, eine archetypische Urfigur, die vielleicht sogar im metaphysischen Gewebe der Welt eine Entsprechung hat, insofern damit der Urkampf dem Menschen weit übergeordneter Mächte nachgezeichnet wird, den die Menschen in ihrem kleinen Dasein nachvollziehen müssen.
Diese mythologischen Gehalte in der materiellen Geschichte der Menschheit auf Erden zu verorten, wäre ebenso fehlgeleitet, wie die Erwartung der christlichen Zukunftsmythologie in der realen Zukunft. Es wird nicht geschehen! Die fortwährende Projektion der religiösen Erwartung in die Zukunft entfaltet aber in der Gegenwart Wirkmacht und hilft den Christen, sich als Gemeinschaft zu erhalten, die gewisse auf die Zukunft bezogene Lebensweisen verwirklicht: Man soll ein tadelloser, sittlich-moralisch wahrer Christ sein, um für das Endgericht gut aufgestellt zu sein und bereits im Diesseits Sphären des Gottesreiches zu verwirklichen. Das eigentliche Endgericht findet aber im Jenseits statt, ist nicht zeitlich-historisch, sondern überzeitlich. Sämtliche Details und Sekundärmotive, welche die Sage um diese vergessene Grundtatsache herum geschaffen hat, um es dem Durchschnittsmenschen, der nicht über den diesseitigen Gesichtskreis hinausdenken kann, glaublich zu machen, sind dagegen Tonnenfutter. Sie dienen, zusammengefaßt in der stetigen Naherwartung, lediglich dazu, den Karren als Fokuspunkt der Glaubensgemeinschaft weiter in die Zukunft zu ziehen. Das ist der letztliche Sinn der Prophetie, nicht etwa das künden der echten Zukunft.

und dazu selbst beseelt wurde durch diese Gaben

Die persönliche Fähigkeit zur Präkognition ist aber etwas gänzlich anderes als die religiöse Projektion in Form von Prophezeiungen. Beides sollte man schon auseinanderhalten können, sonst schüttet man das Kind mit dem Bade aus. Zwar wird man ewig auf eine konkrete Verwirklichung irgend einer Prophezeiung warten können, nichtsdestoweniger ist aber die Kenntnis der echten Zukunft auf medialem Wege möglich.
Ohne diese Unterscheidung ist es auch prinzipiell unmöglich, einzelne Fragmente möglicherweise echter Seherschau aus den Prophezeiungen herauszuschälen (Umfang schätzungsweise vielleicht ein Promille des Textumfangs), die sich dahin verirrt haben, weil die Seher und ihre Dokumentatoren diese Unterscheidung nicht treffen konnten.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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