Hallo Baldur,
Jetzt gibt es bisweilen esoterische Leute und Ausbildungsveranstalter , die behaupten, man könne lernen, in der Akashachronik zu lesen, und dadurch alles erfahren, was man will, denn dort stünde ja alles drin, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.
diese Version der Akasha-Chronik, ich nenne sie mal die "vierte Generation" dieser Idee, also in der von Dir beschriebenen Form, in der sie auf dem Eso-Selbsthilfe-Markt verhökert wird, ist so eine Art grenzdebile "esoterische" Variante der kosmologischen Vorstellung eines "Blockuniversums".
Ich will hier keine weitere nutzlose und ergebnislose Grundsatzdiskussion lostreten, mich interessieren nur produktive Ergebnisse aus der Anwendung von Erkenntnissen.
eine Grundsatzdiskussion ist m.E. nicht zwangsläufig nutzlos und ergebnislos.
Ich weiss nicht, ob die Akashachronik existiert, und falls ja, was drin steht und wie man herankommt.
Da könnte man ja auch sagen: Ist mir egal, ob die Fakepostbriefe eine Fälschung sind, ob Irl-/Adlmaier Plagiatoren waren, ob die Ergüsse der einschlägig bekannten französischen Hausfrauen und Nonnen das Resultat (hormonell bedingter?) Hysterie gewesen sind, interessant ist doch nur, was man daraus an praktischen Ratschlägen für sich destillieren kann. Das ist mir zu pragmatisch.
Deine Frage, "Ich weiss nicht, ob die Akashachronik existiert..", kann man nur damit beantworten, dass sie ganz sicher existiert, übler noch, in mehreren Varianten (siehe unten).
Von keinem mir bekannten Vertreter ist jemals eine "physische Existenz" behauptet worden. Als "Idee", "Konzept", ist sie jedoch unbestritten "existent".
Daraus ergibt sich das leidige Problem, welchem der esoterischen Legastheniker mit seinen jeweiligen "Berichten aus der Akasha-Chronik" man die Deutungshoheit zusprechen will. Basisdemokratisch "allen" geht nicht, weil untereinander unvereinbar.
Zur Auswahl deshalb ein kurzer Abriss:
1)
Die Idee eines "Weltgedächtnisses", bezogen auf alles Vergangene, findet sich bereits im Neuplatonismus und wurde in der europäische Geistesgeschichte immer wieder mal aufgegriffen.
2)
Die Variante dieser Idee als "Akasha-Chronik", die sich NICHT NUR auf die Vergangenheit bezieht, sondern auf "von allem was war, ist oder je sein wird", ist eine Erfindung von H.P. Blavatsky.
Man sollte Blavatskys Modell einer "Akasha-Chronik" im naturwissenschaftlichen Kontext ihrer Zeit betrachten:
"Blavatsky widmet mehrere Seiten der Erörterung der Beziehung zwischen dem physischen Äther und dem esoterischen Äther oder Akasha und behauptet, dass das wissenschaftliche Konzept eine entstellte Reflektion des alten Konzepts sei. Zwei Jahrzehnte später war die Theorie des alles durchdringenden Äthers aus der Physik verdrängt worden und damit auch jede rhetorische Legitimität, die die Theosophie daraus ableiten konnte. Bald richteten esoterische Sprecher ihre Aufmerksamkeit auf neue und vielversprechendere wissenschaftliche Theorien. ..."
("Blavatsky devotes several pages to discussing the relation between the physical aether and the Esoteric aether or akasha, claiming that the scientific concept was a disfigured reflex of the ancient concept. 400 Two decades later, the theory of the all-pervasive aether had been ousted from physics, and with it any rhetorical legitimacy theosophy could derive from it. Soon, Esoteric spokespersons shifted their attention to new and more promising scientific theories. ...)
aus: Olav Hammer: Claiming Knowledge. Strategies of Epistemology from Theosophy to the New Age. 323 f.
Die Wertschätzung dieser Version einer "Akasha-Chronik" fußte im esoterischen Ghetto ihrer Zeit nicht zuletzt auf Blavatskys Konstrukt von "Meistern" einer "Großen weißen Loge", die als Lehrer der Menschheit über die "Mahatma-Briefen" mit ihr in Verbindung stehen würden. Bereits 1994 hat K. Paul Johnson dieses theosophische Meister-Narrativ entzaubert: Er glich die "Mahatmas" erfolgreich mit real existierenden Persönlichkeiten ab, deren Identität H.P.B. damals jedoch aus politischen Gründen schützen wollte.
Johnson, K.Paul: The masters revealed. Madame Blavatsky and the myth of the Great White Lodge. New York 1994
3)
Rudolf Steiner, der Begründer der "Anthroposophie", hat den Begriff einer "Akasha-Chronik" zwar übernommen, bezieht ihn jedoch ausschließlich auf die historische Vergangenheit, NICHT auf die Zukunft:
"Es ist wahr, für die geistige Forschung, wenn sie sich auf die Ereignisse der Vergangenheit erstreckt, gibt es nur eine Quelle.
Diese Quelle liegt nicht in äußeren Urkunden. Nicht Steine, die wir aus der Erde graben, nicht Dokumente, die in den Archiven aufbewahrt sind, nicht das, was die Geschichtsschreiber geschrieben haben, ob inspiriert oder nicht inspiriert, sind die Quellen der Geisteswissenschaft. Was wir zu lesen vermögen in der unvergänglichen Chronik, in der Akasha-Chronik, das ist für uns die Quelle für die geistige Forschung. Es gibt die Möglichkeit, das, was sich zugetragen hat, ohne äußere Urkunde zu erkennen."
Basel, 15.Sep.1909 ☿ (aus «GA 114»; S.21f)
"...die Dinge, von denen die Geschichte berichtet, in einer weit zuverlässigeren Weise schildern..."
aus «GA 11»; S.22f
"... So kann der geistige Blick schweifen durch die Zeiten der Vergangenheit. ..."
Basel, 15.Sep.1909 ☿ (aus «GA 114»; S.21f)
"So daß sie daraus entnehmen können, daß die Vergangenheit für den Geistesschüler sich hinstellt wie etwas, was räumlich sich nebeneinander hinstellt."
Wien, 30.Mär.1910 ☿ (aus «GA 119»; S.229)
Steiner hatte zeitlebens den Hang, durch Bezug auf Pseudo-Autoritäten einen Wahrheitsanspruch vorzugaukeln, damit seine Behauptungen nicht an seine Person gebunden wären.
Im großen Stil tat er das mit seiner "Anthroposophischen Gesellschaft", deren Legitimation er auf die Fortführung der Tradition der ERFUNDENEN Rosenkreuzer zurückführen wollte. In seiner späten Größenwahn-Phase hat er - selbstverständlich hat er dies aus der Akasha-Chronik entnommen - in theatralischen Formulierungen einen roten Faden von den ERFUNDENEN Rosenkreuzern zu seiner "Anthroposophischen Gesellschaft" mit heilsgeschichtlichem Auftrag gesponnen. Ein Spinner eben.
In Bezug auf die "Akasha-Chronik" als re-importierte Idee eines Weltgedächtnisses verhielt sich Steiner ebenso:
"Eine Besonderheit in Steiners Aufsätzen "Aus der Akasha-Chronik" besteht darin, dass die ersten von ihnen ohne Autorennamen erschienen sind und dass nach einer kurzen Einleitung des Herausgebers die Haupttexte in Anführungszeichen erscheinen. Vom zehnten Aufsatz an lässt Steiner diese Praxis fallen und er firmiert auch als Autor.
...
Damit dürfte nahegelegt worden sein, dass die Texte einen anderen, direkteren Charakter haben und möglicherweise eine andere Autorität beanspruchen könnten, jedenfalls ein andere Art von Autorschaft und Inspiration."
(nach Ulrich Kaiser zu "Akasha-Chronik und erweiterte Autorschaft")
4)
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Eso-Industrie hier eine Marktlücke entdeckt. Jeder, der mit Webcam und Mikro ein YouTube-Filmchen basteln kann, darf nun seine ganz persönliche Gruppen-Pauschalreise zur ganz persönlichen Variante der "Akasha-Chronik" zu vermarkten suchen.
Eines der weniger seichten Konzepte ist das von Jane Roberts gechanneltem dauerschwätzendem "Seth" als "Kodizille" bezeichnete Konstrukt. (Jane Roberts: Dialog der Seele. 21. Kapitel: Kodizille) Im Gegensatz zu Blavatskys Blockuniversum-Akasha-Chronik und Steiners Buchhalter-Akasha-Chronik halte ich die Kodizille-Variante für überdenkenswert. Nebenbei ist sie "Spengler-konform".
Gratis-Reiserouten zur "Akasha-Chronik" beschreibt z.B. Robert Bruce, einer der Astral-Reisenden der zweiten Generation. Selbstverständlich bietet er auch kostenpflichtige Seminare dazu an.
'Leseratte' schrieb:
Natürlich wird hier jetzt die Akasha Chronik zitiert, von der jeder, der Esoterik studiert hat, weiss, dass sie auch ein Hort der Irrtümer ist und dass der, der sie liest, gerne wahnsinnig wird. Ich habe deswegen auf Autopilot geschaltet und die Augen verschlossen als ich sie in sie geraten war.
Robert Monroe hat ein kluges Zitat gebracht, er hat gesehen, was hinter (jenseits) ihr liegt. Dazu darf man aber nicht der Spur folgen, die [du] auslegst.
( https://weltenwende.forum/index.php?id=59339 )
Ich sehe das ebenfalls so wie 'Leseratte'.
Man hat seine Urteilsfähigkeit, zwischen "objektiver" Information, Selbsttäuschung und Fremdtäuschung unterscheiden zu können, im Foyer der "Akasha-Chronik" an der Garderobe abzugeben. Die Hausordnung verlangt das. Die Erbauer der einschlägigen "Akasha-Chroniken" haben das zur Sicherung des eigenen Überlebens einstimmig beschlossen.
Willst Du das?
Gruß
Ulrich