weitere Möglichkeit (Schauungen & Prophezeiungen)

Sagitta, Freitag, 17.08.2018, 17:36 (vor 2097 Tagen) @ Taurec (4364 Aufrufe)

Hallo!

Wenigstens mit seinen Datierungskünsten und Voraussagen im zeitlichen Nahbereich scheint es bei Nostradamus nicht allzu weit her gewesen zu sein.

Nostradamus hat über ein Jahr an einem Horoskop für den späteren Kaiser Rudolf II. gearbeitet (im Auftrag einer vornehmen Augsburger Familie, die diese Horoskopausdeutung und Prognose der Kaiserfamilie schenken wollte). Wenn ich mich richtig erinnere, hat Elmar Gruber in seinem Nostradamus-Buch das kritisch analysiert. Eine weitere Prüfung hat Ludwig Dinzinger unternommen. *) Die konventionell astrologischen Fähigkeiten von Nostradamus sind offenbar nicht sehr hoch gewesen (im Vergleich zu anderen Autoren seiner Zeit).

Deshalb muss - für den Fall, dass Nostradamus bislang schon korrekte Voraussagen gemacht hat - nach einer anderen Quelle für sein Wissen über die Zukunft gesucht werden. Wenn Du erwähnt hast, in einem Deiner letzten Beiträge zum Thema, dass ihm 'diktiert' worden sei, so würde ich das streng ausschließen wollen (sind ihm denn die Vierzeiler diktiert worden oder die Ereignisse ...?). Die in den Vierzeilern berichteten Details sprechen sehr für eine optische Wahrnehmung, die hernach ins Gedächtnis des Herrn Nostradamus übergehen konnte (ist nicht bei allen Schauungen so und nicht immer realistisch präzise, wie wir wissen ...).

Dass Nostradamus Schauungen gehabt hat ist für mich zweifelsfrei (dafür spricht auch die Anekdote, in der erzählt wird, wie er, befragt nach der Zukunft, einen der Söhne der Katharina de Medici sehr lange 'angestarrt' habe). Ein Problem stellt für mich nur dar, wie er die geschauten Puzzleteile in einen kohärenten Geschichtszusammenhang, mithin in eine Gesamtschau bringen und überhaupt zeitlich einordnen konnte. Woher weiß er, dass CHYREN (den er vielleicht mit Krawatte oder Bluejeans geschaut hat) zeitlich nach Napoleon (im Krönungsmantel oder Feldherrnrock) kommen würde? Ohne triftige Gegenargumente (die ich hier wenigstens noch nicht gehört habe) würde ich annehmen wollen, dass er unter anderem auch mit Hilfe von Gestirnsständen zeitliche Datierungen vorgenommen hat. Aus denen lassen sich aber geschichtliche Zusammenhänge nicht direkt erkennen (etwa die Abfolge von Dynastien und Regierungen oder von funktionalen historischen Zusammenhängen).

Zu den möglichen Optionen von @Pferdchen, warum Nostradamus sich dieser gewaltigen Mühe an Schauung, Deutung und Chiffrierung unterzogen hat, würde ich hinzufügen, dass er ein Experiment mit der Zeit machen wollte. Irgendwann, so behauptet er ja, wird man erkennen, was er damals schon (bis ins kleinste Detail) 'schaute' - und das wirft spätestens dann die Frage auf, was "die Zeit" eigentlich wäre. Ob also auf einer anderen Ebene oder einer anderen Art des SEINS, die Vergangenheit und die Zukunft (und zwar vollständig sowie komplett determiniert ...) zeitlos vorhanden sind - und von hier aus dort 'geschaut' werden können.

"Alles, was ist - endet" drückt Wagner im Rheingold (4. Akt) diese Paradoxie aus. Nichtsein bzw. 'nicht hier sein' wäre dann vielleicht die bessere Hälfte der Realität ...

MfG, Sagitta

*) Es gibt offenbar noch ein zweites Horoskop zum Bruder des Kaisers, das bislang aber noch nicht aufgefunden werden konnte.

https://www.yumpu.com/de/document/view/4993148/ludwig-dinzinger-kurze-erlauterung-zum-horoskop-des-michel-

siehe ferner: Ludwig Dinzinger, Nostradamus: die Ordnung der Zeit, 3 Bände, Aichach 1993

oder www.eneostopos.de


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