Sicherheiten (Schauungen & Prophezeiungen)

Leseratte, Donnerstag, 01.08.2024, 15:11 (vor 46 Tagen) @ Ulrich (666 Aufrufe)
bearbeitet von Leseratte, Donnerstag, 01.08.2024, 15:26

Hallo Ulrich,

du sagst "Mein Instinkt sträubt sich, Zukunftswahrnehmungen nach Treffern einerseits und Blindgängern/Fehlschlägen andererseits zu unterscheiden."

Natürlich wird man es müssen, einfach deswegen, weil es, wie im anderen, rational geprägten Leben auch, zutreffende und nicht zutreffende Aussagen gibt (okay, jetzt ohne metaphysische Implikationen oder Sprachtheorie). Es gibt parapsychologisch prognostische Treffer, meist im Privaten, aber auch im Ganzen. Man mag von Benjamín Solari Parravicini halten was man will, aber einige seiner psicografías sind nachträglich gesehen außerordentliche "Treffer". Früher erzählte mir eine junge Frau vom Land, in ihrem Ort habe es einen alten Schäfer gegeben, der immer "gewußt" habe, dass bald in diesem oder jenem Haus Jemand stirbt. Die Glaubwürdigkeit von Parravicini oder von dem Schäfer kann doch nur überprüft werden, wenn zwischen "Treffern einerseits und Blindgängern/Fehlschlägen" andererseits unterschieden wird und, bei Parravicini, zusätzlich die mögliche Fehlinterpretation des Betrachters der psicografías in Betracht gezogen wird.

"Grundsätzlich halte ich Zukunftswahrnehmungen für eine private Angelegenheit. Wer meint, seine Zukunftswahrnehmungen hätten eine Bedeutung für andere Menschen und deshalb mit ihnen hausieren geht, dem bringe ich nicht deshalb, nur weil es sich um (vermeintliche) Zukunftswahrnehmungen handelt, die gemeinhin in einen "parapsychologischen" oder gar "religiösen" Kontext gestellt werden, mehr Vertrauensvorschuss entgegen, als wenn er seine Meinung über zukünftige Ereignisse und Entwicklungen auf "üblichem" Wege ableitet." Das ändert nichts an der Tatsache, dass es Menschen gibt, die auf dem "üblichem" Weg klare und belastbare Voraussagen treffen (für einige Spengler, für andere Marx) und dass es andere gibt, die auf für uns unerklärlichen Wegen zu ebensolchen Voraussagen gekommen sind.

Für denjenigen, der Zukunftswahrnehmungen hat, gilt deine Unterscheidung nach "nach Treffern einerseits und Blindgängern/Fehlschlägen" andererseits umso mehr. Nicht nur um eine eigene Selbstkritik zu haben, die unerlässlich ist, sondern auch den Moment festzuhalten, in dem etwas "gesehen" wurde, was sich jeder rationalen Erklärung entzieht. Damit ist man im persönlichen und öffentlichen Bereich nicht anders unterwegs, als derjenige, der gesellschaftliche und private Prognosen aufgrund rationaler Kriterien erstellt, man mag hier nur an den gräßlichen Irrtum von Francis Fukuyama mit dem "Ende der Geschichte" denken. Man mag einwenden letztere, rationale Prognosen würden auf überprüfbaren Kriterien fußen, die somit in einer Debatte rational zu debattieren wären, nur müsste man das bei psicografías von Parravicini letztlich auch, wobei einzuräumen wäre, dass sie, falls sie "Treffer" wären, eben die Kategorien des rationalen Diskurses sprengen würden.

Aus dieser Falle rettet die Astrologie auch nicht, denn bei der astrologisch begründeten "Sicht" der Dinge geht es ja darum, dass in einer bestimmten Zeitqualität (verzeihe mir meine mangelnde Präzision) der "Blick" auf zukünftige Ereignisse in derselben Zeitqualität ermöglicht wird, etwas, was Spengler mit den analogen Epochen der verschiedenen Kulturkreise auch versucht hat. Du sagst, "dass die beiden Zeitpunkte, Wahrnehmung und Ereignis, überaus häufig über die geozentrisch gleiche Positionen eines Planeten verknüpft sind". Damit versuchst du die "Schau" ja doch zu legitimieren. Bei der Astrologie muss man zusätzlich gegenüber dem skeptischen Betrachter die anhand der Konstellationen überprüfbare Zeitqualität "beweisen". Das kann man ja nur, wenn tatsächlich Horoskope einen heuristischen Mehrwert haben, also etwas zeigen, was normal verschlossen bliebe. Der einzige Unterschied zu individualistischen "Schauungen" wäre dann, dass Astrologie als solche ein in sich rationales System darstellt, das tatsächlich als System für diejenigen, die es verstehen, gleichartige und gemeinsam zu überprüfende Ergebnisse hervorbringt. Den individuellen Moment führst du ein, wenn du sagst, gleiche Zeitqualität brächte ähnliche "Bilder" hervor, wie die Liebe immer an die Liebe erinnert.

Trotzdem gibt es die Momente, dass eine "Schau" oder "Ahnung", wie der Rattenfänger von Hameln, in den Abgrund führt. Da stehen wir doch vor dem Nichts.

Grüße Leseratte


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