Hallo!
Euch beide frage ich: Glaubt ihr oder seht ihr auch nur eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass Irlmaier selbst - oder irgendjemand ihm dies unterschiebend - das Bild der "weißen Tauben", die in großer Zahl, aus welcher genauen Richtung auch immer, "vom Sand herauf" heranfliegen würden, um in einer "Linie" (!) einen tödlichen Strich durch die Landschaft zu ziehen, erfunden hat? Das Bild der "weißen Tauben" ist zumindest obskur ... war es wohl erst recht auch in den 1950er Jahren gewesen. Da müsste einer erst mal darauf kommen. Dass diese 'Vögel' auch noch unbemannt sein sollen (ich zitiere auf die Schnelle aus der Erinnerung), wäre dann schon eine sehr phantasiereiche Ausschmückung von etwas ohnehin Erfundenem - nach dieser Theorie.
Ich bin zwar keiner der beiden, antworte aber.
Eine Aussage Sepp Wudys aus dem grenznahen böhmischen Raum lautet:
„Rennt nicht davon, wenn die grauen Vögel fliegen, woanders wird es noch schlechter sein.“
Diese Aussage scheint mir mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit dem gelben Strich zu tun zu haben,
1. weil die Gegend ungefähr paßt
2. mir keine plausiblere Alternative einfällt.
Bombardierungen im 2. Weltkrieg passen eher nicht,
1. weil die Gegend nicht paßt
2. es woanders nicht gerade schlimmer war als in den Städten
3. bei Wudy sonst nichts über den 2. Weltkrieg zu lesen ist.
Etwas muß er gesehen haben, das die Vögel verursachen, das aber an Ort und Stelle (vielleicht in Gebäuden) überlebbar ist. Nehmen wir mal einen Zusammenhang mit dem gelben Strich an.
Ist hier tatsächlich eine Deckung zweier echter Schauungen vorhanden oder hat Wudy dem Irlmaier als Vorlage gedient?
Letzteres scheint mir eher unwahrscheinlich zu sein, weil Wudys Aussage außer „Vögel“ eigentlich gar nichts aussagt, Irlmaiers Aussagen hingegen sehr viel genauer sind: Beschreibung der aufsteigenden Bomberflotten und eine grobe Ortsangabe, Beschreibung der noch rollenden Panzer mit toter Besatzung usw.
Sollten Irlmaiers Beschreibungen nicht echt sein, wäre es eine besonders dreiste Erfindung/Lüge. Es fragt sich, ob das Irlmaiers Persönlichkeit entspricht.
Tatsächlich war er laut Südostkurier vom 11. Juni 1947 fünfzehnmal, darunter siebenmal wegen Betruges, vorbestraft, zudem wegen falscher Versicherung an Eides statt und Nichtablieferung von Sozialabgaben (Quelle: Berndts Irlmaierbuch). Insgesamt saß er über ein Jahr im Gefängnis. Der Grund waren aber Irlmaiers langanhaltende wirtschaftliche Schwierigkeiten nach dem Abbrennen seines Hofes 1926, derentwegen er chronisch Rechnungen und damit verbundene Geldstrafen nicht bezahlen konnte. Es gibt kein Indiz, daß er jemals absichtlich gelogen hätte. In nichtwirtschaftlichen Bereichen war er offenbar ehrlich. Auch nahm er nie Geld für seine seherischen Dienste. So scheint es mir eher unwahrscheinlich zu sein, daß Irlmaier sich den gelben Strich (und andere seiner Aussagen, die keiner Vorlage zugeordnet werden können) ausgedacht haben könnte.
Einziges weiteres mögliches Indiz, daß etwas mit Irlmaier charakterlich nicht gestimmt haben könnte: Der Brand seines Hofes 1926 war offenbar Brandstiftung (Loch im Zaun, Hund eingeschläfert, alles als Irlmaier zufällig in der Stadt war). Warum sollte man aber einem vermeintlich unbescholtenen Menschen, der mit anderen nicht in schwerwiegende Konflikte gerät, seine gesamte Existenz vernichten? Irgendwas muß das vorgefallen sein (wenngleich die Verantwortung für den Brand natürlich der Brandstifter trägt) und es fragt sich, was Irlmaiers Beitrag war.
Als weiterer Urheber einer Lüge käme Irlmaiers „Verleger“ Adlmaier in Frage. Der hat tatsächlich nachweislich gelogen, als er das Lindelied nicht seinem eigentlichen Urheber Martin Hingerl (1920), sondern einer Familie zuschrieb, die das Original von den Vorfahren geerbt haben soll. Man könnte argumentieren, Adlmaier hätte das aus Urheberrechtsgründen getan, um das Lied veröffentlichen zu können, indem er die Herkunft verschleierte. Allerdings setzt Adlmaier noch einen drauf, indem er in der zweiten Auflage von „Blick in die Zukunft“ schreibt, er habe das Lied durch zwei Zuschriften aus Franken vervollständigen können, obwohl er es doch von Anfang an komplett besessen haben muß und hätte abdrucken können. Das paßt nicht mehr zur „Urheberrechtstheorie“, denn er spinnt seine Lügengeschichte unnötig aus, als ob er eine gewisse Freude an der Verwirrung gehabt hätte.
Nun erhebt sich die Frage, warum man jemanden, der dermaßen lügt, seine veröffentlichten Irlmaieraussagen glauben sollte? Ich neige zu der Auffassung, daß alle Plagiate bei Irlmaier von Adlmaier ausgingen. Wie sieht es aber mit den nicht (offensichtlich) plagiierten Aussagen aus?
Einschub: Womöglich sind auch diese Aussagen (gelber Strich, Heersäulen, Hochgestellter, Friedenskonferenz, Überflutung Norddeutschlands usw.) in Wirklichkeit Plagiate, wobei uns nur die Quellenkenntnis fehlt, das zu erkennen. Vielleicht weiß da Randomizer mehr.
Sollte Adlmaier aber frei erfundene Irlmaieraussagen veröffentlich haben, hätte es zwischen ihm und Irlmaier persönlich wohl übel gekracht und weitere Veröffentlichungen wären bereits nach der ersten Auflage untersagt worden. Das spricht für einen wahren Kern der Irlmaieraussagen. Wahrscheinlich wurde von Adlmaier nichts veröffentlicht, dem Irlmaier nicht zustimmen konnte. Daraus folgt, daß beide wohl zusammen an dem veröffentlichten Text arbeiteten. Irlmaier kannte seine Schauungen und andere Prophezeiungen und hatte offenbar kein Problem damit, daß diese abgedruckt wurden, wenn sie seine Schauungen ergänzten/erklärten oder sich mit ihnen deckten. Was seine eigenen Schauungen angeht, so hat der intellektuell/analytisch eher unbedarfte Irlmaier sich dem Intellektuellen Adlmaier anvertraut, der die Aussagen sortierte, deutete und es mit der Korrektheit wohl nicht gerade genau nahm. Das ist wahrscheinlich der wesentliche Punkt: Die bei Adlmaier zu lesenden Aussagen sind ein Fabrikat Adlmaiers, das auf Grundlage einer Handvoll Schauungen Irlmaiers entstand (+ Plagiate) und für Irlmaier eine plausible Auslegung seiner Schauungen war. Wie wir aber z. B. am Waldviertler erkennen können, wissen Seher selbst oft nicht, was sie sahen, sind sich des Zusammenhangs ihrer Bilder nicht bewußt und müssen sie auslegen (oder auslegen lassen).
Dem entsprechend sind die Irlmaiertexte eine Mischung aus Plagiaten und zu einem gewissen Grade falsch verbundener, fehlinterpretierter Irlmaierschauungen.
Bei den Aussagen zum gelben Strich, Fliegern, Kastln usw. gibt es jedenfalls Unstimmigkeiten:
Ein schwarzes Kastl wird vom Westen aufs Hauptquartier geworfen.
Im unbekannten Kurier von 1945 wird ein schwarzes Kastl hingegen auf oder vor England geworfen, also von der östlichen Gegenseite!
Die Explosion eines Kastls verursacht Staub oder Rauch.
Laut der Herzdame vom 18. 3. 1950 hingegen sah der Irlmaier „lauter Feuer am Boden“, eine Beschreibung, die bei Adlmaier fehlt, bzw. Adlmaier nicht entsprechen zu scheint.
Dann ist die Aussage, daß der Strich bei Prag beginne, sicherlich ein Verwendung der alten Aussagen über die Zerstörung Prags (vgl. Sibylle Michalda). Überhaupt sind die Aussagen über den Verlauf des Striches sehr ungenau. Womöglich wußte Irlmaier überhaupt nicht, wo er verläuft. Im äußersten Falle ist der ganze „Strich“, bzw. Korridor eine Erfindung Adlmaiers.
Echt sind wahrscheinlich die Aussagen über die aufsteigenden Flugzeuge in der Wüste, die rollenden Panzer mit toter Besatzung und andere Folgen der Chemie (alles tot, unpassierbar für ein Jahr). Der Ort des Einsatzes wäre dann weitgehend frei, z. B. über dem „Hauptquartier“ (oder was von Adlmaier so bezeichnet wurde).
Unter Umständen sind in dem Bestreben, verschiedene Aussagen oder so viele wie möglich sinnvoll zu verbinden, Bilder, die eigentlich zur Finsternis gehören, dem „gelben Strich“ zugeteilt worden. So wäre es kein Wunder, wenn Irlmaier laut Adlmaier Staub und Rauch sah, wo der Strich gelegt werden soll. Tatsächlich bestehen moderne Kampfstoffe aus weitgehend unsichtbaren Aerosolen, Gasen oder Flüssigkeiten. Gehören „gelber und grüner Staub oder Rauch“ tatsächlich zur Finsternis, bzw. Erdriß in Böhmen? Die örtliche Übereinstimmung des angeblichen Strichverlaufs mit der böhmischen Katastrophe könnte ein weiteres Indiz in diese Richtung sein.
Auf die Bedenken wegen der physikalischen Unmöglichkeit von Tsunamibomben sei ebenfalls noch mal hingewiesen: Bedenken bei Tsunamibomben
Auch da stimmt etwas nicht. Ich vermute, Adlmaier hat eine Aussage über die Überflutung Englands (meines Wissens ebenfalls ohne Vorlage, d. h. echt) mit einer anderen Aussage über einen Bombenabwurf kombiniert.
Was Wudy angehet, um den Kreis zu schließen, so neige ich zu der Annahme, daß sowohl er als auch Irlmaier in ihrer Heimatregion – Ostbayern, Südböhmen – (chemische?) Luftangriffe sahen, wobei von Wudys Bild nichts weiter überliefert ist und Irlmaiers Dokumentation so verhunzt ist, daß die Realität vom Text wahrscheinlich stark abweicht.
Gruß
Taurec
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„Es lebe unser heiliges Deutschland!“
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„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“