Hallo, Ihr Beiden, vielen Dank für Eure Antwort!
Es ist richtig, man sollte eigentlich Zeile für Zeile den Text der Rill-Briefe durchgehen, das würde sich durchaus lohnen. Leider hab ich dafür aktuell keine Zeit, möchte es aber irgendwann nachholen und werde das Forum darüber dann verständigen - in Form eines Beitrages wäre es hier ohnehin zu umfangreich.
Zwei Beispiele aber dar ich anfügen für die Formulierungskunst der Briefe, die trotz eventueller Übersetzung aus dem Französischen und trotz der einfachen Sprache des Rill dennoch ganz außerordentlich ist:
"Der Krieg geht unter der Fuchtel weiter."
Das beziehe ich auf die Zeit zwischen erstem und zweitem Weltkrieg, als der Spannungszustand in Europa wie auch im Völkerbund nicht wirklich aufgehoben war und schließlich in einen neuen Krieg mündete. Die "Fuchtel" war dabei der Versailler Vertrag, der Deutschland ganz klar unterdrückte. Für mich ist der Satz eine schlagend einfache Formulierung aus Volkes Mund (!?) - und zwar zu einer Zeit, als der Vertrag von Versailles noch gar nicht angedacht war ...
"Der Mann und das Zeichen verschwinden zwar, und es weiß niemand wohin. Aber der Fluch im Innern bleibt bestehen."
Das beziehe ich auf Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, und auch hier ist die Ausdrucksweise wieder absolut treffend. Denn die frühe BRD wurde niemals richtig entnazifiziert - und mit der DDR kam man ohnehin vom Regen in die Traufe. Tausende Erz-Nazis kamen wieder in höchste Posten in der BRD und haben den guten Geist des Grundgesetzes von 1949 völlig deformiert. In manchen Bereichen der BRD-Verwaltung herrscht heute eine extreme, arrogante Willkür wie in den 1930ern, die Medien sind nicht besser als vor 80 Jahren etc. - und das alles ist Folge dessen, dass der Fluch im Innern weiterbestand. Genau genommen gibt es auch noch eine reziproke Wirkung des Fluches, die bis heute weiter besteht: die soziopsychologische Unterdrückung und Selbstunterdrückung einer Nation aufgrund ihrer Taten unter jenem Zeichen ...
Ich darf noch etwas Grundsätzliches zu den Feldpostbriefen sagen. Weil ich mich mit ihnen eingehend beschäftigt habe, sehe ich sie viel freier und viel kritischer, als dies vielleicht durch meinen letzten Beitrag den Anschein haben könnte.
Ich stelle mir zum Beispiel die Frage: wenn ich im Jahr 1952 lebte und eine unverdächtige Prophezeiung fabrizieren wollte, wie würde ich dann am besten vorgehen? Würde ich sie vielleicht einem Rill unterschieben, der während der Nazi-Zeit immer mal wieder entsprechende Dinge am Stammtisch plapperte und dafür sogar verhaftet wurde? Oder es fällt mir auf: die Feldpostbriefe enthalten eigentlich nicht mehr an Voraussage als das Lindenlied, wir finden alle die alten Stereotypen wieder:
Russen überfallen uns, aber lassen Gerät zurück
= bunter Fremdling flieht die Statt, die Du nicht gepflüget hast
die Berge speien Feuer
= der Erde Riss
über Leichen muss der Höchste fliehn
= Papst muss in Italien fliehen
engelgleicher Völkerhirt etc.
= die Kirche hält den Siegestriumph
Es fällt ferner auf, dass die Feldpostbriefe für die Zeit vor 1950 treffend genau sind, inklusive vieler (nicht aller ...) Jahreszahlen. Die Nachkriegszeit ist dagegen eher in allgemeinen Begriffen beschrieben. Und wenn man eine ganz böse Unterstellung machen wollte, könnte man argumentieren, die Feldpostbriefe wollten für die 50er Jahre den Antichristen (der nach ihr ja in Russland geboren wird) einen Angriff auf Deutschland unternehmen lassen (die Russen überfallen im Text ja Deutschland). Und diese Prophezeiung wäre dann, einschließlich der Jahreszahlen, sehr gründlich daneben gegangen.
Ich will meine Kritik hier nicht weiter ausführen, denn derartige Diskussionen und Abwägungen bringen eigentlich nichts. Man muss sich für eine Auslegung entscheiden, wenn man handeln will. Ich persönlich habe mich entschieden, aus einer langen Reihe von Gründen heraus, dass ich die Feldpostbriefe bis zum Indiz oder bis zum Beweis des Gegenteils als eine authentische Sache ansehe. In ihnen ist alles gesagt, was man wissen sollte, um im Süden Deutschlands mit dem dritten Weltgeschehen zurechtzukommen.
MfG, Sagitta
PS: In meiner interpretierenden, eigenen Wiedergabe der Feldpostbriefe habe ich den Satz mit dem Jahr 1943 gestrichen. Er sagt etwas, das so nicht richtig war. Dennoch ist dieser Satz stimmig insofern, als bis 1943 die deutsche Seite das Kriegsgeschehen und die Weltpolitik dominierte. Mit dem Jahr 1943 kippen aber die Verhältnisse, und es werden bereits in diesem Jahr unter Führung des USA jene Strukturen aufgebaut, die die Nachkriegsordnung ausmachen: etwa die UN, eigentlich ein Kampfbündnis, mit dem D immer noch lediglich im Waffenstillstand sich befindet, oder etwa das Bretton Woods System, das ebenfalls 1943 in Angriff genommen wurde und dessen Institutionen heute noch die Welt beherrschen. Insofern steckt auch in deser Jahreszahl eine wichtige Info. Ich empfehle, die Jahreszahlen in den Feldpostbriefen einfach nicht zu beachten. Es heißt im Text: "die Besatzungen lösen sich", die USA sind gegenwärtig real aber noch da. Also müssen sie erst mal gehen. Und es heißt: "am Schluß" überfällt Russland die Deutschen. Es handelt sich hier um den Schluss der Nachkriegsepoche, die durch die Dominanz der USA gekennzeichnet ist. Und diese Dominanz geht nun unter unseren Augen zu Ende.