Hallo!
Pat schrieb:
Taurec hat dies treffend beschrieben, dass die christliche Religion, ob nun auf Erden oder im Jenseits, sich selbst durch Entzeitprophezeiungen erhält und eigene sowie potentielle Anhänger antreibt, nach den moralischen Vorstellungen der Religion zu leben.
Er nimmt damit wohl auf Beiträge wie diesen Bezug. Der Gedanke: Die Erwartung des nahen Gottesgerichts, bei dem die Rechtgläubigen errettet werden sollen (der Rest kommt in den Orkus), hängt den Endzeitgläubigen wie die sprichtwörtliche Karotte vor der Nase und bewegt sie dazu, sich als möglichst makellose Christen zu verhalten. Der Endzeitglaube dient damit als eine Art konstituierenden Fixpunktes in der Zukunft, der sich stets mit der Gegenwart der Gläubigen im Zeitverlauf voranschiebt, ohne jemals einzutreffen, und fortwährend zur Begründung und Festigung des Glaubens beiträgt.
Das ist vermutlich der verdeckte Sinn des Endzeitglaubens, nämlich überhaupt nie einzutreffen und stets nur die illusionäre Naherwartung als Verhaltensanreiz aufzuspannen, der wohl keinem wahrhaft Gläubigen je zu Bewußtsein kommt. Würde es eintreffen und die Welt ginge danach in Form des prophezeiten Goldenen Zeitalters mit christlicher Weltherrschaft weiter (was aber nicht der Urfassung des Endzeitglaubens entspräche), so wäre dies tatsächlich das Ende des Christentums, weil es nichts mehr hätte, worauf es hinleben könnte, sondern absolut bestätigt worden wäre. Nihilistische Auflösung in der Sinnkrise und die Bildung neuer Religionen wäre die Folge (interessanterweise, was wir in der Moderne ohnehin beobachten), weil das Leben weiterginge und nicht in behaglichem Verweilen in einem ewigen Utopia bestehen kann, sondern sich weiterentwicklen will. Der Umkehrschluß: Es kann also keinen wahren Kern in Form realer zukünftiger Ereignisse hinter den Endzeitprophezeiungen geben, weil nicht davon auszugehen ist, daß das Himmelreich mit Offenbarungen auf die paradoxe Selbstwiderlegung des eigenen Anliegens durch Eintreffen der prophetischen Botschaften hinarbeitet. Vielmehr handelt es sich um eine menschengemachte Illusion und Zuschreibungen, die auf eine Errettung in Diesseits hinzielen, um eine Form der Realtranszendenz.
Will man den Vorhersagen eines "jüngsten Gerichts" irgendeine Wahrheit zugestehen, so müßte es sich um einen Vorgang handeln, der die Seelen auf fernen Ebenen weit jenseits der irdischen Inkarnationen am Ende ihres Weges erwartet, nämlich wenn sie als Entwickelte wieder in die Quelle einziehen sollen, final gewogen und nicht mehr für zu leicht befunden werden.
Tatsächlich ist der Endzeitglaube nur ein Aspekt des Christentums, der im Laufe der Zeit massiv an Gewicht verloren hat. Den Theologen war es wohl selbst nicht geheuer, diese Ankündigungen über Jahrhunderte aufrecht zu erhalten und damit ständig subtil an der eigenen Glaubwürdigkeit zu nagen. Im Zuge des Aufkommens des kritischen Geistes der Aufklärung, der auch vor der Theologie nicht halt machte, haben sie sich diesen Schiefer selbst gezogen. Im Volksglauben blieb die Endzeitprophetie allerdings erhalten und weiter produktiv.
Gruß
Taurec
―
„Es lebe unser heiliges Deutschland!“
―
„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“