Hallo Frank,
Nein, ich glaube, da irren Sie sich. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die allermeisten Menschen in unserem Kulturkreis sich zumindest einen rudimentären (Rest-)Zugang zu jener "zweiten Spur" bewahrt haben. Das Problem ist, dass in unserer Zivilisation für einen solchen "Zugang" kein Verständnis existiert. Diese "zweite Spur" hat in unserer modernen Welt ja nicht einmal eine Daseinsberechtigung! Sie existiert ganz einfach nicht.
Die moderne Gesellschaft, in der wir heute leben, hat ihr Zusammenleben basierend auf gewissen Grundannahmen über den Menschen und die Welt, die ihn umgibt und in der sich sein Leben vollzieht, organisiert. Eine der wichtigsten, wahrscheinlich die wichtigste überhaupt, ist die Annahme, dass der Mensch in der Lage ist, kraft seines Verstandes die ihn umgebende Welt zu erklären und zu verstehen und auf diese Weise mit ihr zu interagieren. Das hat uns sehr weit geführt, weiter als z.B. die Griechen oder die Römer. Mit dieser Grundannahme ist moderne Wissenschaft nämlich überhaupt erst möglich geworden. In früheren Zeiten war das anders.
Auch die Griechen interessierten sich sehr für die Welt, in der sie lebten. Doch über das bloße Beobachten und Beschreiben kamen sie nicht hinaus, aus ihren Beobachtungen eine theoretische Erklärung abzuleiten, war ihnen nicht möglich. Der Grund war ihre Vorstellung von der Welt: manche glaubten, die Welt sei schon immer dagewesen, bereits vor den Göttern, eine Art ewig währende unergründliche Bühnendekoration, vor deren Kulisse sich das Götter- und Menschengeschehen abspiele; weit verbreitet war auch der Glaube an immerwährende Kulturzyklen, die sich mit erbarmungsloser Unbarmherzigkeit immer und immer wieder wiederholten, ein stetiges Auf und Ab von Aufstieg und Untergang von Nationen und Völkern, fern von jeglicher möglichen Einflussnahme durch den Menschen, der dem Kultur- und Naturgeschehen hilflos ausgeliefert war. Die Natur wurde als "belebt" empfunden, Dinge in der Natur geschahen, weil die Dinge "es so wollten" oder die Götter, oder weil "es ihnen auf diese Weise gefiel". Planeten bewegten sich in Kreisbahnen, weil die Planeten die Kreisbahnen "als harmonisch empfanden". Es liegt auf der Hand, dass unter solchen Bedingungen eine moderne Wissenschaft sich nicht hatte entwickeln können; wie hätten mit einer solchen Weltvorstellung theoretische, abstrakte, allgemein- und immergültige Theorien entstehen können?
Mit dem Aufkommen der modernen Zivilisation war das anders. Selbstbewusst und voller Zuversicht ging der moderne Mensch daran, die Welt um sich herum kraft seines Verstandes zu ergründen und zu erforschen. Er tat das aus der tiefen Überzeugung, dass ihm das möglich sei und dass es sich lohne. Und während die alten Griechen noch von der Erde aus den Mond beobachteten, ersann der moderne Mensch Vorrichtungen, die es ihm erlaubten, zum Mond zu fliegen und auf ihm herumzulaufen. Und während die alten Griechen noch über die Zusammensetzung der Materie und Atome fantasierten, ersann der moderne Mensch Experimente, um besagte Atome zu finden und nach ihrer Entdeckung zu schauen, was in ihnen drin ist.
Und dennoch ist der Zugang zur "zweiten Spur", zu jener immateriellen, geistigen Welt nicht komplett ausgelöscht; er ist nur verschütt gegangen. Auch wenn wir so tun, als könnten wir Gefühle, Ahnungen oder Träume zurückführen auf das bloße Zusammenspiel biochemischer oder neurologischer Prozesse, so ist die "zweite Spur" ja noch da - wir sehen sie nur nicht! Insofern ist das keine "Gabe" oder eine "Gnade", die einem durch wie auch immer geartete höhere Mächte gewährt wurde, sondern eine Fähigkeit, die in jedem von uns schlummert, deren Existenz aber nur die wenigsten mehr oder weniger bewußt wahrnehmen. Und nur ganz wenige können sie sich zunutze machen und sie bewußt steuern und kontrollieren (ich gehöre allerdings nicht zu jenen Glücklichen, die das können).
Frank, allein die Tatsache, dass Sie daheim vor Ihrem Computer sitzen und meine Zeilen lesen, beweist doch, dass auch Sie diese gewisse Unruhe verspüren, dass da "was kommt", dass es "so nicht weitergehen kann". Eine Art Ahnung. Eine innere Unruhe, vage und unbestimmt, verstandesmäßig nicht fassbar. Nicht wahr?
Ich schlage Ihnen ein Experiment vor. Morgen veröffentlichen Sie in einem x-beliebigen Forum folgenden Beitrag:
"Hallo,
heute hatten wir in Lund zwei Stunden Stromausfall. War ganz schön kalt und dunkel hier.
Gruß in die Runde,
Frank"
Jetzt klappen Sie Ihren Laptop zu, üben sich drei Tage lang in Internet-Abstinenz und schauen dann nach, was für ein Strang sich aus Ihrem Beitrag entwickelt hat. Lesen Sie nur die neuesten Beiträge. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden Sie auf eines oder mehrere der folgenden Schlagwörter treffen: explodierende Kernkraftwerke, Bürgerkrieg, Waffenbeschaffung, Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, drei Tage Finsternis, vorindustrielles Zeitalter, Apokalypse, Deagel, Massentod, Georgia-Guidestones, Seuchen etc.
Warum ist das so? Weil die Menschen ahnen, dass unsere Zivilisation dem Ende zustrebt. Sie spüren es, so wie Tiere ein bevorstehendes Erdbeben oder einen Vulkanausbruch wittern. Die Gefahr. Das Chaos. Den drohenden Tod.
Doch diese Gefühle sind verstandesmäßig nicht fassbar. Also haben sie in unserer modernen Zivilisation keinen Platz. Daher
versteckt man solche Gefühle. Hinter dem Bericht des Club of Rome. Hinter der bevorstehenden Klimakatastrophe, Peak Oil, Corona, Freimaurer-Verschwörungen, den Prophezeiungen aus der Bibel, der Expertise des Bundesamts für Katastrophenschutz. Taurec vesteckt seine Gefühle beispielsweise hinter eineinhalb Tausend Seiten Oswald Spengler. Er macht das übrigens ganz hervorragend,
meint anerkennend:
Lost Centuries