Hallo!
Vorausgehen sollte die Feststellung, daß es sich bei dem "klassischen Szenario" um eine in religiöser Erwartungshaltung gründende Tradition handelt, die eine Reihe Standardmotive aufweist:
- Überfall aus dem Osten (ursprünglich Gog und Magog aus dem Inneren Asiens)
- Eine Endschlacht des Guten gegen das Böse (ursprünglich Armageddon, durch zahlreiche Verschiebungen zur Birkenbaumschlacht, bzw. Endschlacht am Rhein mutiert)
- Ein Erretterkaiser, der christlicher Weltherrscher wird. (In älteren Prophezeiungen legt er zum Schluß bei Golgatha seine Insignien nieder, wenn nämlich der wiedergekehrte Christus, der eigentliche König, die Herrschaft übernimmt.)
- Glaubensabfall, Sittenverderbnis, Verfolgung der Christen/Rechtgläubigen
- Ein Heiliger Papst/Engelspapst, der aus Rom fliehen muß, weil dort nämlich der Antichrist herrscht.
- Die Vernichtung eines großen Sündenpfuhls gleich Sodom und Gomorrha, im Laufe der Zeit auf zahlreiche vermasste Löcher übertragen: Babylon, Rom, Paris, Prag, Wien, London, New York
- Plagen/Gottesstrafe (Naturkatastrophen, Krankheiten, Steinehagel, Finsternis etc.)
- Ein Himmelszeichen als Zeichen der Wiederkunft Christi während der Gottesstrafe, das jüngste Gericht
- Ein goldenes Zeitalter in einem christlichen Weltreich, wo alle Herden unter einem Hirten vereint sind, es nur eine Religion geben wird.
In der letzten Fassung der Überlieferung ist dieser Motivschatz an moderne Gegebenheiten angepaßt: kommunistische (also antichristliche) Umstürze, gesellschaftlicher Verfall, russischer Überraschungsangriff, Papstflucht, Endschlacht am Rhein, Krönung des Kaisers, dreitägige Finsternis, Vernichtung von Paris, Wien (Stephansplatz, Dill), Prag, New York, das ganze Szenario, wie es noch bei Berndt und DeGard zu lesen ist.
Über die Jahrhunderte hinweg findet sich dieses endzeitprophetische Grundgerüst in zeitgenössischen Prophezeiungen an die jeweiligen historischen Umstände angepaßt. Das Grundmuster geht zurück bis Pseudo-Methodius und reicht von dort bis zu jenen Voraussagen, die Christus selbst zugeschrieben werden, dessen Jünger auf seine baldige Wiederkehr warteten.
Irrig wäre es, anzunehmen, all diese sich im Grundmuster ähnelnden Prophezeiungen täten dies, weil dieselben künftigen Ereignisse gesehen worden wären.
Vielmehr greift jede Prophezeiung den großen Mythos aller christlichen Verheißung auf: den finalen Kampf des Lichtes gegen die Dunkelheit, die Wiederkehr des Messias, der die Geschichte vollendet und den Sinn der Schöpfung im Anbruch des Gottesreiches erfüllt. Das ist der Kern, der wichtigste Gedanke, von dem alles ausgeht, innerhalb der magischen Kultur des nahen Ostens, welche die drei monotheistischen Großreligionen hervorgebracht hat. Es wandert als großer Attraktor wie der Horizont stets in gleicher Entfernung mit den Menschen durch die Zeiten, stets knapp voraus, nie erreicht.
Der Zirkelschluß dieser großen Weissagung liegt darin, daß sie allein als richtig betrachtet wird, wenn man daran glaubt. Die Notwendigkeit ihres Eintreffens leitet sich aus dem Glauben an die Richtigkeit der Aussagen ab. Das ist die glaubensmäßige Selbstbestätigung: credo quisa absurdum est, oder völlig tautologisch: es ist wahr, weil es richtig ist.
All diese Prophezeiungen leiten sich aus der Notwendigkeit ab, daß die Geschichte innerhalb des christlichen Weltbildes einen ganz bestimmten Sinn haben muß. Alles Prophezeiungen müssen sich zwangsläufig nach diesem Muster richten. Und vor allem: Sie werden gezielt gemacht, um diesem Muster zu entsprechen!
Man kann an solche Prophezeiungen nicht mit den Kriterien der Parapsychologie, bzw. der Präkognitionsforschung herangehen, welche tatsächliche, übersinnliche Wahrnehmungen, die zukünftig eintreten, erforscht.
Diese Vermischung findet in unserer "Szene" noch immer statt, weil man von dem gemeinsamen Nenner ausgeht, daß sowohl Präkognition, als auch Prophezeiungen auf die Zukunft ausgerichtet sind.
So nimmt man sich beispielsweise die Prophezeiung, die einer französischen Nonne des 19. Jahrhunderts zugeschrieben wird, und fragt bei diesen Aussagen nicht etwa nach der zugrundeliegenden religiösen, kulturellen Tradition, sondern setzt sie mit ähnelnden Aussagen anderer religiöser Propheten in Beziehung, die auf dieselbe religiöse Tradition zurückgehen.
Hätte man verschiedene, voneinander unabhängige (da einander unbekannte) Paragnosten, die vergleichbare Schauungen haben, könnte man davon ausgehen, diese hätten das selbe Ereignis gesehen. Je mehr man davon hat, desto sicherer ist dieses Ereignis.
Verschiedene Propheten (man beachte die Wortwahl!) zu sammeln, erhöht aber nicht die Sicherheit des Eintreffens der verheißenen Ereignisse. Im Gegenteil! Diese Propheten schwimmen in der religiösen Überlieferung ihrer Kultur, die sie aufgreifen und in ihren Aussagen zum Ausdruck bringen als Symbol ihres Glaubens, dessen sein ganzes Wesen ausmachenden teleologischen Sinn der Geschichte sie verkünden. Der Inhalt entstammt dem religiösen Bezugsrahmen und nicht Präkognition.
Es ist sehr fraglich (sollte also genauestens erwogen werden), ob man neue/unbekannte/einzigartige Detailelemente eines seines Ursprunges, seiner Machart und seines Duktus nach religiös-prophetischen Textes tatsächlich als Fragmente echter Präkognition betrachten soll, oder nicht vielmehr als individuelle, phantasievolle Spielart der großen christlichen Weissagung, in welcher der Autor eine persönliche, an die eigenen Zeitumstände angepaßte Note einfügen wollte.
Gruß
Taurec
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„Es lebe unser heiliges Deutschland!“
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„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“