Hallo BB!
Ich hab versucht, an der Übersetzung der Medea-Verse zu schrauben, aber meine lateinischen Gehirnwindungen sind verrostet oder von Alzheimer ergriffen. Deshalb hab ich die Übersetzung im Reclam-Verlag besorgt und kann nun einen professionellen Altphilologen zitieren:
Das eisige Nass des Araxes schlürft
der Inder, es trinkt der Perser bereits
aus Elbe und Rhein. Es wird kommen die Zeit,
wenn die Jahre vergehn, wo des Oceans Strom
den Erdenring sprengt und ein riesiges Land
sich weithin erstreckt, und Tethys enthüllt,
was an Räumen sie barg - das Ende der Welt
ist Thule nicht mehr.
Ich finde das sehr schön übersetzt. Der übertragene Sinn der beiden letzten Verse wäre also: Thule, damals im hohen Norden gedacht, wird nicht mehr das Ende der Länder sein, hinter Thule wird es (neues) Land geben. Ausgangspunkt dieser ganzen Geschichte war ein bei Gustafsson zitierter Seher, der eine Verbindung zwischen Norwegen und Spitzbergen "sah".
Übrigens haben die Verse nachweislich auch für Kolumbus eine große Rolle gespielt, er holte sich aus ihnen Mut und hat sie oft zitiert. Da dieses Thema an der Jahrhundertwende 1500 unter den Gelehrten also diskutiert wurde (so wie bei uns die Mondlandung ...), so hat Nostradamus diesen Text, der ja außerdem mit prophetischem Anspruch daherkommt, wohl sicher gekannt.
Neben dem Perser an Elbe und Rhein (Nostradamus: Kamel, Xerxes u.ä.) wollte ich aber auch nochmals auf den Begriff INDUS eingehen. Unter ASIA verstand man zu Senecas Zeiten lediglich eine römische Provinz in der heutigen Türkei. Der Begriff China war noch unbekannt. Also symbolisierte INDUS den damaligen "fernen Osten". Das heißt, in dieser Strophe wird neben einer Veränderung des Erdkreises (geographisch und/oder geologisch gesehen) auch eine Völkerverschiebung von Ost nach West angedeutet.
Doch zum eigentlichen Thema Deines Beitrags: ich verstehe Deinen Einwand zu den Fluthöhen sehr gut. FLUT ist zwar kein abstrakter, aber sehr weiter Begriff. Darunter kann man einen Dammbruch in den Alpen mit leichter Überschwemmung von München verstehen, oder einen Tsunami an der Küste. In Traumschauungen (die sich von normalen Träumen nur schwer abtrennen lassen), kommt außerdem noch ein Symbolismus hinzu. Allen diesen Widrigkeiten zum Trotz muß man, glaube ich, trotzdem versuchen, ob nicht eine (wiederum abstrakte) Synthese möglich ist und ungefähre Orientierungslinien für die Pegel angegeben werden können. Interessant scheint mir vielleicht auch zu sein, dass die vorliegenden Schauungen für Mittel- und Süddeutschland aus Stromtälern und angrenzenden Bereichen kommen. Das deutet m.E. auf einen "realistischen" Kern.
Grüsse, Gerhard