2 Fragen (Schauungen & Prophezeiungen)

Leseratte, Freitag, 05.04.2024, 22:19 (vor 187 Tagen) @ BBouvier (2445 Aufrufe)
bearbeitet von Leseratte, Freitag, 05.04.2024, 22:37

Hallo,

bei der ganzen Prophezeiungsorgie über die "bösen" Russen stellen sich zwei Fragen:

Erstens, wann tauchte die erste "Prophezeiung" über den Einmarsch der Russen auf? Von 1815 bis zum Krimkrieg (1853) war ein fast fünfzigjähriger Friede (von dem griechischen Aufstand abgesehen) in Europa. Die Russen waren ja als Verbündete Preussens und Englands in Paris einmarschiert und hatten die alte Ordnung restituiert. Die darauf folgende Heilige Allianz war ja ein Bündnis um Europa vor Umstürzen zu stabilisieren und eng mit den jeweiligen klerikalen Parteien (Katholische Kirche, evangelische Kirche und Orthodoxie) und den dazugehörigen Monarchien verknüpft. Wie soll da vor 1855 eine christliche "Prophezeiung" willentlich erfunden werden, die die Russen wider der damaligen politischen Situation mit einer Revolution verknüpft? Da die Russen doch 1848 die Wiener Monarchie gerettet hatten und fortan als der Hort der Reaktion galten? Und redeten gestandene Konservative wie Spengler nicht von der "russischen" Seele, die jung, religiös und unverdorben sei?

Zweitens, Panzerkolonnen. Der jetzige Krieg in der Ukraine kennt aus diversen Gründen keine Panzerschlachten und keine großen Offensivbewegungen. Alle Prophezeiungen, die von Panzermassen Richtung Rhein faselten, waren also Humbug, der besser im damaligen Spiegel zu lesen war. Das gilt heute umso mehr. Es fehlt den Russen inzwischen schlichtweg an Soldaten um Millionenstädte zu besetzen oder zu erobern, selbst an Charkiv, was 60 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt, waren sie ja anscheinend gescheitert. Oder hat das russische Militär einer andere Strategie, den Gegner zu schlagen, indem (siehe Clausewitz) das Heer des Gegners peu à peu vernichtet wird? Dann wäre die liebende Umarmung einer Anakonda für den Ukrainekrieg das passendere Bild. Wie alles weitergeht, wissen wir nicht. Ob der Konflikt jetzt der Anfang vom Ende der westlichen Vorherrschaft sein wird, auch nicht. Und ob der Westen darüber (wirtschaftlich) zusammenbricht, auch nicht.

Nur: die Panzerkolonnen, die in den ersten Tagen des Krieges über die Grenze fahren, bleiben ein prägendes Bild. Die Panzerkolonnen im Februar 2022 können den visuellen Anfangspunkt darstellen.

Grüße Leseratte


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